„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Sonntag, 13. August 2017

Owumbu und das Fipronil

Was ist da los? Die halbe Welt wird brutal vergiftet mit einem Insektenvernichtungsmittel, man muss hunderttausende Hühnereier und tonnenweise Lebensmittel vernichten und als Sondermüll entsorgen, weil sie für Menschen hochgiftig sind und man damit rechnen muss, nach dem Sonntagsfrühstücksei zuckend zusammenzubrechend und mit Schaum vor dem Mund jämmerlich zu verenden. Zumindest ist das das Bild, das durch den medialen Hype um die „belasteten“ Hühnereier und deren massenhafte Vernichtung aufgebaut wird.

Aber was ist jetzt wirklich Fakt?
Dieses Insektizid ist schädlich für Bienen und deshalb vollkommen zu recht verboten. Man darf es gegen Flöhe und Zecken bei Haustieren einsetzen, aber nicht mehr in der Landwirtschaft und Nahrungsmittelindustrie. Nicht, weil es dem Menschen schadet, sondern den Bienen schaden kann. Beim Sprüheinsatz auf Feldern sieht man das ein, das Verbot bei der Massentierhaltung ist auch verständlich, kommt es doch über die Streu und die Ausscheidungen auch auf die Felder.
Absolut in Ordnung geht die strafrechtliche Verfolgung jener Firma, die diese verbotene Substanz illegal in ihr Mittel gegen Milbenbefall bei Hühnern eingerührt hat. Das Thema Massentierhaltung generell, das solche Mittel überhaupt erst notwendig macht, möchte ich gar nicht anschneiden. Verboten ist verboten und Punkt.

Jetzt kommt aber der Witz an der ganzen Geschichte: Da es um die Verhinderung der Verbreitung des Giftes in die Landschaft geht, müssten die Legebatterien sofort geräumt, entseucht und die kontaminierten Hühner gekeult werden. Davon habe ich nichts gelesen. Aber man vernichtet medienwirksam und aktionismusheuchelnd tonnenweise Eier, deren Verzehr beim Menschen genau gar nichts bewirken würde.

Es gibt einen Höchstwert für den Gehalt an Fipronil, bis zu der keinerlei Gesundheitsbedenken bestehen. Dieser Höchstwert wird, wie z.B. im „Standard“ zu lesen ist, um das Zehn- bis Hundertfache unterschritten. Als Richtwert gilt, dass bei Erreichen des Höchstwertes ein Ei pro Kilogramm Körpergewicht ohne gesundheitliche Schädigung zu sich genommen werden kann. Ein Erwachsener Mann mit 80 Kilo müsste also, je nach Belastung seiner Frühstückseier, zwischen 80 und 800 Eier löffeln, um überhaupt in die Gefahrenzone zu kommen, ab der ihm schlecht werden könnte. Ich weiß ja nicht, wie es meiner geneigten Leserschar so geht, aber bereits der Verzehr eines Bruchteiles davon hätte bei mir auch ohne jegliche schädliche Inhaltsstoffe diesen Effekt. Wenn ich sonntags in der Früh nach zwei Löffeleiern noch die Reste meiner Kinder esse, die ausgerechnet das belastete (aber meiner Meinung nach besonders schmackhafte, daher meine selbstlose Bereitschaft, ihnen zu helfen) Gelbe vom Ei ihrem Erzeuger überlassen, steht mir der Knopf am Zapferl, wie man so schön sagt. Drei bis vier Eier am Stück, das ist schon Kampf-Ostern. Ich habe nicht einmal ansatzweise die Chance, auch nur in die Nähe irgend einer Gesundheitsbelastung zu kommen.

Dass ich das sowieso nicht komme, weil wir unsere Hühnerküken in Feststoffhülle direkt vom Kleinbauern beziehen und nicht von armen KZ-Hühnern, die in ihrem Leben nichts anderes sehen als tausende Artgenossen in Minikäfigen und nichts tun als in künstlich beschleunigtem Kunstlicht-Tag-Nacht-Rhythmus Eier zu legen bis sie ausgelaugt entsorgt werden und die deshalb mit allen möglichen Chemikalien am Verfaulen bei lebendigem Leib gehindert werden müssen. Aus den Legehennen vom Freiland-Bauern, dessen Hühner im Sonnenschein des natürlichen Rhythmus zwischen den Weinreben die Schneckenvernichtung betreiben und deren Eier deshalb eine Schale wie Beton haben, kann man nach dem Ablegen der Quote eine Suppe kochen, der Biomüll aus den Legebatterien muss als Sondermüll verbrannt werden.

Die einzige Gefahr, mit belasteten Eiern in Berührung zu kommen, ist der Verzehr von Nudeln und all den anderen, weit entbehrlicheren, Produkten der sogenannten „Nahrungsmittelindustrie“. Ich mag keine Nahrungsmittel, ich mag Essen. Essen wächst und absorbiert Sonnenlicht oder es hat zu Lebzeiten einen Puls. Die Zutatenliste eines Räucherschinkens umfasst exakt eine Position: Schwein. Dazu etwas Salz und Pfeffer. Fertig. Keine E-Nummern, keine künstlichen Hormone, Antioxidationsmittel, Spezialsalze und Geschmacksverstärker. Ein über echtem Buchenholz geräucherter Schinken in Meersalzkruste braucht keinen Geschmacksverstärker sondern einen guten Wein. Vom südsteirischen oder ungarischen Weinbauern.

Doch zurück zu unserem Medienhype, für den gerade tonnenweise Lebensmittel im Sommerloch entsorgt werden. Lebensmittel, die der Mensch selbst bei großzügigem Verzehr ohne weitere Gesundheitsbedenken verzehren könnte. In einer Welt, in der Hunger noch immer eine weit verbreitete Todesursache ist.
Wir wollen uns wirklich wundern, wenn afrikanische Familien ihre jüngsten Söhne zu uns schicken, in das Land, in dem Lebensmittel als Sondermüll entsorgt werden, die bei ihnen als Delikatessen gelten würden, selbst wenn zehnmal mehr irgendwelche Stoffe im Dotter herumschwimmen? Wir wollen uns wundern über die Verachtung jener, deren Enkel und Neffen in kongolesischen Kobaltminen ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, während unsere gleichaltrigen Kinder im Kindergarten keine Nudeln vorgesetzt bekommen, weil darin ein Ei verarbeitet sein könnte, das ein paar Nanogramm eines Insektizids enthalten könnte, was ihnen exakt gar nicht schadet? Und nein, genau diese Leute kommen nicht über Libyen zu uns, die haben niemals das Geld um auch nur ihren Kral zu verlassen. Die zu uns kommen sind die gut genährten und durchtrainierten jüngsten Söhne genau jenes afrikanischen Mittelstands, der an Sklaverei, Kinderarbeit und Ausbeutung genug verdient, um Anker in Europa auszusetzen, an deren Leine dann zusätzliches Geld aus der dritten bis siebten Identität ihres Sprösslings Richtung Familienkassa fließt.

Wir helfen den relativ Wohlhabenden, reicher zu werden, indem sie unsere Sozialtöpfe anzapfen, und scheren uns einen Dreck um die wirklich Armen. Und kümmern uns nebenher mehr um ein paar Tonnen Eier mit geringen Spuren von Irgendwas als um die wirklich Leidenden der Welt.

Ich lasse mir mein sonntägliches Frühstücksei auch heute schmecken und habe kein schlechtes Gewissen, weil der kleine Owumbu nicht einmal weiß, was ein Sonntag oder ein Frühstücksei ist. Ich habe ihn nicht in diese Lage gebracht. Aber mich widert an, dass wir uns als Gesellschaft um das Los eines zentralafrikanischen Kindes, das rund um die Woche Kobalt für die klimarettende Elektromobilität, die bei einer unseren Werten entsprechenden Abbautechnik vollends unbezahlbar würde, im Korb aus einem Erdloch schleppen darf, weit weniger scheren als um den sowieso unschädlichen Genuss einer Portion Nudeln. Für die der Kleine in Afrika Tränen der Freude vergießen würde, dürfte er jemals so etwas essen.

Und die, die uns das einbrocken, fühlen sich noch als die Moralapostel dieser Welt.
Und fordern strengere Kontrollen unserer Lebensmittel.
Und den ausschließlichen Transport mit E-Autos.
Den Owumbu wird‘s freuen.

3 Kommentare:

fischer hat gesagt…

Danke, Fragolin. Wieder einmal den Finger in die Wunde gelegt. Ob wohl alle Hunde- und Katzenhalter ihre Einmalhandschuhe nach Milbenmittelbeträufelung korrekt entsorgen oder sich bei Handschuhverzicht gründlich die Hände waschen? Und ihre Tierchen dann ein paar Stunden nicht streicheln?


Im übrigen erstaunt es mich sehr, daß Fragolin nach seinen zwei Frühstückseiern auch noch die Reste seiner Kinder verzehrt. Mit oder ohne Meersalzkruste?

Tschuldigung, war aufg´legt :))

Fragolin hat gesagt…

Werter fischer,
leider geht sich die Salzkruste auf den Resten nicht mehr aus, meine liebreizende Fragolina lässt von den Beiden, die sie zum Fressen gerne hat, einfach zu wenig übrig... ;-)
Nichts zu entschuldigen, erwischt ist erwischt. Aufgelegte muss man treten.
MfG Fragolin

fischer hat gesagt…

Schönen Sonntag, liebe fragolinische Familie. Und danke auch für ein bißl Lächelndürfen.

:)