„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Donnerstag, 6. Dezember 2018

Am 3. Februar 2019

von LePenseur



... steigen die USA also aus dem INF-Vertrag aus. Das wäre wenigstens die logische Schlußfolgerung aus dem, was DiePresse (wie üblich, von APA/dpa ab-)schreibt:

Abrüstung: USA setzen Russland 60-Tage-Ultimatum

Russland soll mit einem neuen Marschflugkörper gegen den Vertrag zum Verzicht auf atomare Mittelstreckenwaffen verstoßen. "Russland ist kein Land, dem man ein Ultimatum stellt", heißt es postwendend aus Moskau. Nun wird eine Aufrüstungsspirale in Europa befürchtet.
(Hier weiterlesen)
Nun, der geopolitische Rinderwahnsinn, dessen Ausbruch ich gestern befürchtete, geht bereits los ... 
 
Man muß die transatlantischen Trolle, die DiePresse unter dem Artikel mit Parolen überschwemmen und jetzt angestrengt auf »Wir werden Putin schon schlachten!« hyperventilieren, doch dabei leider vergessen, daß das Feld dieses Schlachtens sich vermutlich in den mittleren Teilen Europas befinden dürfte, auf ein paar Dinge hinweisen, die sich seit dem letzten Versuch, Rußland unters kaudinische Joch der Wall-Street-Mafia zu beugen, doch ein bisserl geändert haben:

1. Die Finanzlage:
 
Zu Zeiten der späten UdSSR war der Ostblock faktisch bankrott. Wenn ich mir heute die Finanzlage Rußlands ansehe, und sie mit dieser netten Graphik vergleiche, dann könnte — nein: dürfte! — ein Kräftemessen, das nicht nach der Methode »Blitzkrieg« die Russen innerhalb von wenigen Tagen vernichtet, einigermaßen in die Stars&Stripes-Hosen gehen. Weil einfach die finanziellen Ressourcen nicht mehr da sind. Und Zwangsanleihen und Enteignungen mögen die Herren der Wallstreet nicht so wirklich — doch ohne solche wird es bei dieser Überschuldung kaum länger gehen. Das war ab den 1960er-Jahren, als die USA die UdSSR durch gezieltes zu-Tode-Rüsten in den Ruin trieben, noch anders (wie man in der obigen Graphik auch deutlich sehen kann). Heute wird es wohl nicht wirklich funktionieren.

2. Die Position Chinas:

Bei Untergang der Sowjetunion war China dieser gegenüber recht feindlich gesonnen, und versuchte Anschluß an den US-Westen zu finden. Heute sind China und Rußland zwar nicht befreundet, das wäre zuviel gesagt — aber daß die schrille »Hoppla-jetzt-komm-ich«-Art Trumps die traditionell auf Gesichtswahrung bedachten Chinesen nicht gerade auf seine Seite ziehen wird, liegt auf der Hand — Doch ohne die Unterstützung durch China wird Washington Moskau einfach nicht »derheben« (wie der Wiener sagt).

3. Die innenpolitische Lage Rußlands:

Im Gegensatz zu den letzten Jahr(zehnt)en der Sowjetunion, in denen eine von der Bevölkerung in weiten Teilen abgelehnte Führung diese mit zunehmender Gewaltanwendung und Unterdrückung in Schach halten mußte, was zu Frustration und inneren Reibungsverlusten führte, ist Putin deutlich populärer. Vielleicht nicht so populär, wie er möchte und seine Anhänger gern erzählen — aber er ist es ohne jeden Zweifel (auch wenn es den Transatlantikern überhaupt nicht gefällt). Von einer solchen Popularität aus kann man anders agieren, als vom Hochsicherheitsbunker des Zwingherrn.

4. Die innenpolitische Lage der USA:

Diese ist zwar nicht so gespalten, wie es unsere linkslastigen Medien in EUropa gern beschreiben — aber von Geschlossenheit und Einigkeit auch ziemlich weit entfernt. Sagen wir so: es wird tendenziell weniger Russen geben, die Putin, als US-Amerikaner, die Trump am liebsten als Haifischköder sehen wollten ...

5. Die Undurchführbarkeit einer »nuklearen Option«:

Wenn selbst ein vergleichsweise nuklearer Zwerg wie Nordkorea nahezu unangreifbar ist, weil keiner eine Atombombe auf eine Großstadt mit ihren zig(hundert)tausenden Toten riskieren will, dann ist eine atomare Großmacht wie Rußland erst recht unangreifbar, und zwar auch (und v.a.) in Bezug auf
 
6. Die Kampfkraft der Streitkräfte:
 
Vor allen für die US-Army, die in den konventionellen Kriegen der letzten hundert Jahre doch nur gezeigt hat: ja, sie hat viel Material! Und nein: sie hatte und hat weder geniale Heerführer, die man ja nicht daran erkennt, daß sie, aus dem Vollen schöpfend, einen unterlegenen Gegner abschlachten können, sondern daran, daß sie mit einem Hosenknopf bewaffnet durch gewitzte Strategie gegen eine Übermacht gewinnen (oder doch bestehen) können — und, vor allem: sie hat ein untermittelprächtig kampftüchtiges Fußvolk. Ja, ja, ich weiß ... die Marines ... aber man werfe doch einen ungeschönten Blick in die Geschichte des gesamten 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts: die US-Army hatte entweder einen auf Materialüberlegenheit basierten, schnellen Erfolg, oder ... zermürbend peinliche Niederlagen. Man vergleiche das mit der russischen Armee ... Sicher: die deutsche Wehrmacht war da nochmals »ein anderes Kaliber« — aber die gibt's nicht mehr, und die gurkentruppe der Flintenuschi tut irgendwie gut daran, jede Pflege alter Wehrmachtstraditionen auszumerzen: sie wären doch nur peinlich-mahnende Menetekel für die Bundeswehr — und ehrenrührige Besudelung der Wehrmacht durch ihre minderwertige Nachfolge.
 
7. Der Vorteil des Verteidigers:
 
Schließlich sollte noch ein entscheidender Vorteil Rußlands in diesem Spiel nicht vergessen werden: es agiert aus der Rolle des gelassenen Verteidigers. Wer Rußland ernstliche angreifen will, muß sich in die endlosen Weiten dieses Landes begeben. Sein Vorfeld hat es im Zuge des Zzusammenbruchs des Ostblocks längst eingebüßt — hier bleibt von US-Seite also relativ wenig Möglichkeit zu billigen »Siegen« (Weißrußland oder das kleine Transnistrien vielleicht, aber auch das ist unwahrscheinlich). Doch den Krieg ins Territorium eine Nuklearmacht selbst hineinzutragen, das wird nur gehen, wenn diese selbst es durch einen Angriff provozieren würde. Wofür es allerdings keinerlei Anzeichen gibt. Wo — und v.a. warum — sollte Rußland so etwas machen? Oder glaubt jemand ernstlich, die Russen dächten daran, die Ukraine gewaltsam »heim ins Reich« zu holen? Oder Kasachstan? Oder Georgien? Oder das Baltikum. Oder ... naja: was denn dann eigentlich? Das ist doch alles lächerlich ...
 
Ich habe deutlich mehr als die Hälfte meiner Lebenszeit unter der Atmosphäre des Kalten Krieges verbracht, und daher glaube ich nicht, daß es wirklich zu einem totalen Showdown kommen wird. Einerseits bleibt da immer das Restrisiko eines Verrückten, der auf den sprichwörtlichen roten Knopf drückt, bzw. das der Verkettung von Irrtümern, die dann unkorrigierbare Aktionen auslösen, und andererseits mag auch eine Dauerlähmung Europas durch Sanktionen vielleicht im Interesse der USA (und Chinas) sein, aber sicher nicht in dem unseren.

Und genau deshalb kann ich die Reaktionen unserer transatlantisch durchsetzten Politruks nur mit Kopfschütteln verfolgen. Und mit dem Ekelgefühl, das eine derartig opportunische Handlungsweise in einem moralisch normalveranlagten Menschen auslösen sollte.

1 Kommentar:

Frolleinwunder hat gesagt…

"...sie hatte und hat weder geniale Heerführer..." doch, einen hatten sie wohl schon - Patton. Aber den haben sie ja dann auch bald selbst aus dem Verkehr gezogen.
Zweitens: Ihre Einschätzung resultiert aus den Erfahrungen des Kalten Krieges, da war es sichr zutreffend. Allerdings besteht die Gefahr des Hind-Sight-Bias oder man-kämpft-immer-den-zurückliegenden-Krieg. Möglicherweise gibt es aktuell doch Strategen, die eine Auseinandersetzung mit den Russen für führbar halten, zumal diese sich wohl hauptsächlich bei den Kommunikationssträngen abspielen wird und Gebietsbesetzungen durch eigene Truppen nicht geplant und notwendig sind. Die Europäer, allen voran die Polen und Balten, werden das Kanonenfutter sein, die Deutschen hinterdrein. Die dazu noch den Hauptkriegsschaupklatz stellen werden, weil hierzulande die gesamte Logistik fußt.
zur Bundeswehr ist vielleicht noch Folgendes zu bemerken: Die Einheiten, die ins Ausland gehen, allen voran die Spezialeinheiten, sind sehr gut ausgerüstet und ausgebildet. Die sind nicht umsonst da. Nur in ihrer Gesamtheit ist die Bundeswehr nicht in der Lage, eine Landesverteidigung zu stemmen, weil ihr dazu auch jeglicher Wille fehlt. Eine Enteierte Führungsetage, die sich selbst als Vasall und Hilfstruppe begreift, soll das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes schützen? Die müssen erst einmal wieder definieren, was das ist.