„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Donnerstag, 21. September 2017

Dunkel wars

Heute musste ich wieder an ein altes Kindergedicht denken, aus jener Zeit, als Kinder noch Gedichte lernten. Wir lernten es freiwillig, denn es war witzig. Wir lernten durch solche Gedichte, was „paradox“ bedeutet. Wir ahnten nicht, dass das heute, ein paar Jährchen später, die Grundlage der medialen Berichterstattung darstellt. Und zwar flächendeckend.

So ein Beispiel paradoxer Berichterstattung ist jetzt dem „Focus“ passiert. Dort werden im Abstand von nicht einmal 24 Stunden zwei vollkommen gegensätzliche Meldungen veröffentlicht, ohne dass es jemand merkt. Zumindest in der Redaktion.

Am 19. September vermeldet das Fachblatt für Meinungsbildung mit unverhohlener Häme über die verlogenen rechten Hetzer, dass die AfD einmal mehr beim Hetzen und Lügen erwischt wurde und sich dabei böse blamiert habe.

Was ist vorgefallen?
Die AfD hat nach dem, sagen wir mal so, recht übersichtlichen Beginn der Oktoberfest-Gaudi, die ja schon zum zweiten Mal hinter Merkel-Lego und Sicherheitszäunen stattfindet, auf Twitter die natürlich absolut ungeheuerliche Behauptung aufgestellt, Merkels Politik hätte zu einer schwierigeren Ausführung von und mieseren Besuchszahlen bei Volksfesten geführt. Und dann mit absolut bösen, manipulativen und verhetzenden Zahlen, die bis auf die Kleinigkeit, der Wahrheit zu entsprechen, eben ganz böse rechtspopulistische Lüge sind, ihre Aussage untermauert.
Und hier findet man diese üble Facebook-Hetze:

2015: Am ersten Tag strömen 1 Million Menschen über das Festgelände, im Folgejahr nur noch 500.000. In diesem Jahr sollen es nach offiziellen Angaben 600.000 Besucher gewesen sein.
In einem Land, in dem man gut und gerne lebt, und das durch die Asylpolitik seiner Kanzlerin unter massiver Sicherheitsgefährdung leidet, gestaltet sich die Durchführung von Volksfesten seit 2015 mehr als schwierig. Dass man am ersten Tag des Oktoberfestes noch 10 Meter weit sehen kann, ist ebenfalls unüblich für eine Veranstaltung, bei der normalerweise kaum ein Durchkommen möglich ist.
Holen wir uns am 24.09. gemeinsam unser Land zurück!“

Also, was steht da? 2015 waren es 1 Million am ersten Tag, 2016 nur noch 500.000, dieses Jahr 600.000. Ein deutlicher Knick nach dem Merkelschen Willkommenstaumel, der seltsamerweise einsetzte, nachdem die Bereicherung Deutschlands in Köln ihre unangenehme Seite offenbart hatte und diverse Leute mit Äxten in Regionalzügen oder Rucksäcken bei Festspielen für ein Erwachen der ersten Wellkammbesoffenen und eindeutig mehr Vorsicht bei Touristen geführt hatten.
Da diese Zahlen statistisch nachgewiesen sind und den Angaben der Veranstalter selbst entsprechen, kann man von deren Richtigkeit ausgehen. Hat bisher auch niemand angezweifelt.
Also entsprechen diese Zahlen der Wahrheit.
Aber nicht, wenn sie von der AfD verwendet werden.

Also, bei was wurde die AfD jetzt erwischt?
In den Kommentaren unter dem Post der AfD beschweren sich die Facebook-Nutzer über die Darstellung. Enrico schrieb: „Warum belügt ihr eure Wähler? Es sind sogar mehr Besucher bis jetzt als letztes Jahr.““

Äh. Ja. Letztes Jahr 500.000, dieses Jahr 600.000. Steht da. Auf Facebook. Bei der AfD. Also wo ist da jetzt die Lüge versteckt? Dass die Unfähigkeit zu sinnerfassendem Lesen mit der Notwendigkeit zu betreutem Denken Hand in Hand geht, hat unsere Systempolitik eh schon lange erkannt und deshalb das Bildungssystem sukzessive zerstört und damit hordenweise Enricos und Kevins und Jaquelines gezüchtet, die sich unabhängig jeglicher Faktenlage über den Inhalt einer Aussage aufregen, weil sie zwar nicht begreifen, was da überhaupt drin steht, aber genau wissen, auf wen sie einrotzen können. Man möchte einigen Nutzern den gutgemeinten Rat geben, anstatt masochistisch auf der Facebook-Seite der verhassten AfD blöd rumzupöbeln (außer man verdient sich ein Taschengeld damit) die Zeit lieber zu ein paar Nachhilfestunden in Medienkompetenz und Sinnerfassendem Lesen zu nutzen.

Aufgestachelt werden diese Postfaktenfreunde natürlich durch die „Faktenchecker“ der Anstalt für Betreutes Denken, die natürlich mit den Steuergelder auch der bösen rechtsnationalen AfD-Hetzerfreunde auf „twitter“ sofort hämisch klarstellen müssen, dass die AfD lügt, denn es wären ja dieses Jahr mehr Besucher als letztes Jahr.
Ja eben. Die AfD hat nichts anderes behauptet. Aber in den Jahren davor waren es, mit Ausnahme 2001 nach dem Terroranschlag vom 11. September, grundsätzlich etwa eine Million, also gut doppelt so viele.
Man glaubt, man ist im falschen Film. Da behauptet jemand, das Auto wäre blau gewesen, und der andere fährt im kreischend dazwischen, er wäre ein dreister Lügner, denn jeder hätte deutlich gesehen, dass das ein blaues Auto gewesen wäre.

Interessant auch die Unterschiede im Wortlaut des Textes, bei „Focus“ steht da nämlich wie oben zitiert: 

Bei der „Tagesschau“ fehlt plötzlich der erste Absatz komplett.
Woher kommt diese „Lücke“, ohne die der ganze „Faktencheck“ nur inhaltsleeres Geblöke ist?



Könnte es sein, dass die „Postfaktenverklicker“ des Schwarzen Kanals, äh, der Tagesschau, da so ein kleines Hoppala von „Lückenpresse“ passiert ist? Und der Enrico und der Kevin und die Jaqueline darauf reingefallen sind wie immer? Wer weiß?

Aber noch besser ist ja, um auf das Paradoxon zurückzukommen, die nächste Meldung, aus dem gleiche Hause, nämlich „Focus“, doch jetzt vom 20 September. Also nur einen Tag, nachdem festgestellt wurde, dass die ultrarechte Hetze über ein komplett vergurktes Oktoberfest mit Pauken und Trompeten als blamabler Fake enttarnt wurde, schreibt das investigative Fachblatt für Meerestierverpackung hier mit weinerlichem Unterton:

Wiesn-Schausteller klagen nach vier Tagen über Besucher-Flaute“

Da ist der Beweis für den fulminanten Erfolg der, äh, warte mal, was steht da? Besucher-Flaute? Ist das nicht so ziemlich die gleiche Aussage, die erst einen Tag vorher als blamable Lüge und Hetze enttarnt wurde? Und wie wird das diesmal begründet?

Am Montag war der schlechteste Tag meines Arbeitslebens“ (…) „Das könnte an strengen Kontrollen an den Besuchereingängen liegen. Das wirkt abschreckend.“

Neinneinnein, das ist böses AfD-Sprech, das ist Nazipropaganda! Pfui!! Das hat doch alles nichts mit nichts zu tun und überhaupt!

Wegen der latenten Terrorgefahr hatten die Behörden das Sicherheitskonzept in diesem Jahr nochmals ausgeweitet.“

Wieso Sicherheitskonzept? Erst einen Tag zuvor wurde die AfD dafür geprügelt, auf eine „massive Sicherheitsgefährdung“ zu verweisen, die es ja gar nicht gebe und die nur auf diffusen Ängsten der durch die rechten Hetzer und Radikalisierer verschreckten Menschen beruhe, und jetzt schreiben die, dass massive Polizeipräsenz und ein verschärftes Sicherheitskonzept hinter den allseits gegenwärtigen Volksfestzäunen, die inzwischen unsere Grenzzäune ersetzen, die Antwort auf eine höhere Gefährdungslage sind.

Das ist das Paradoxon. Am Dienstag wird die Flaute am Oktoberfest als herbeigeredete Lüge bezeichnet, am Mittwoch wird sie als bejammernswerte Tatsache beweint. Am Dienstag ist eine höhere Gefährdungslage eine von den Rechten herbeigeschriebene haltlose Behauptung, am Mittwoch begründet man damit die Flaute, die es am Mittwoch zu bejammern gibt und die am Dienstag noch ein Fake war. Es ist Hasswoche.

Als Drüberstreuer noch das Bild, mit dem der „Focus“ am Mittwoch seinen Artikel schmückt. Man vergleiche mit dem oben von der AfD gezeigten „Fake“.



Und deshalb fiel mir das Kindergedicht wieder ein. Es ist von Joachim Ringelnatz.
Die erste Strophe ging so:

Dunkel war's, der Mond schien helle,
Schnee lag auf der grünen Flur,
als ein Auto blitzeschnelle
langsam um die Ecke fuhr.
Drinnen saßen stehend Leute,
schweigend ins Gespräch vertieft,
als ein totgeschossner Hase
auf der Sandbank Schlittschuh lief.

Anhang frei nach Fragolin:
Und die AfD lügt immer, auch wenn sie mal die Wahrheit sagt,
während der „Focus“ immer wahr spricht, bei jeder Lüge, die er wagt.

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