„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Donnerstag, 30. März 2017

Umstritten



In der umstrittenen Gazette „Tagesspiegel“ ist ein fragwürdiger Artikel erschienen, in dem berichtet wird, dass dubiose Unbekannte gegen das Auto des renommierten Politikwissenschaftlers Werner Patzelt einen brutalen terroristischen Brandanschlag verübt haben.

Na, wie liest sich das? Es ist genau das, was die intellektuell anspruchsvolle Qualitätspresse ihren für strunzdumm gehaltenen Meinungsmündeln vorknallt, nämlich durch den kreativen Einsatz attributiver Adjektive, die nichts aussagen aber alles meinen können, wie „umstritten“, „dubios“ oder „fragwürdig“, noch während des Lesens vermeintlicher Meldungen die Synapsen in die gewünschten Falten zu bügeln. Ich bügle nur gegen euren Strich.

Und so klingt der gleiche Sachverhalt im „Tagesspiegel“ auch etwas anders als bei mir oben:

„Privatwagen von Dresdner Pegida-Forscher Patzelt angezündet

Für seine Studien zu Pegida ist der Dresdner Professor Werner Patzelt immer wieder kritisiert worden. Nun haben Unbekannte sein Auto angesteckt.“

Ich liebe es. Nein, ehrlich! Es macht Spaß! So muss sich ein DDR-Bürger gefühlt haben, wenn er aus der Titelmeldung des „Neuen Deutschland“, dass bei einem Wettkampf zwischen Reagan und Breshnew der Große Sowjetische Bruder einen fulminanten Zweiten Platz belegte, während der imperialistische US-Kriegshetzer nur Vorletzter wurde, die Realität herausgefiltert hat. In den zwei Sätzen unter der Schlagzeile wird nämlich in eine durchaus geschickte Formulierung das Bild eingewoben, dass dieses „Anstecken“ des Autos nur eine besonders nachhaltige Form der Kritik an seiner Beschäftigung mit der Pegida-Bewegung sei. Also eigentlich selbst schuld, denn er wurde ja oft genug kritisiert und hat es gewagt, trotzig auf seinem Recht zu beharren, sich weiter damit zu beschäftigen, und das auch noch auf Basis von Fakten und nicht einfach mit der Nazikeule, wie sich das für einen systemkonformen „Experten“ mit staatlichen Gütesiegel der Zertifizierungsstelle Kahane gehören würde. Er hat die Parias berührt, er hat Schmutz angefasst, nun büßt er im reinigenden Feuer.

Und dann das „Anstecken“, als würde es sich um einen Schnupfen handeln. Man muss sich das mal klarmachen: Wenn Unbekannte einen Böller gegen eine Baustellenhauswand werfen und genau gar nichts weiter passiert, ist das ein „Brandanschlag“. Wenn aber die Fahrzeuge Unbequemer, die es wagen, die Deutungshoheiten in ihren Filterblasen anzuzweifeln, bis zum Totalschaden abgefackelt werden, dann ist das kein Anschlag sondern eine neckische kleine „kritische“ Zündelei.

Das Muster kennen wir. Ach, ich vergaß: das bekotzenswerte Muster. Auch ich habe Adjektive, und schreiben wie ein Schmierfink kann ich auch. Ich stelle nämlich keinerlei Qualitätsanspruch und verkaufe nichts.
Da wird aus einem Angriff auf Unbewaffnete eine „Messerstecherei“, aus dem brutalen Zusammentreten Wehrloser eine „Rangelei“, das In-den-Rücken-Treten auf U-Bahntreppen ist ein „Schubsen“. Und das Ausrasten linksradikaler Straßenterroristen ist ein „Protest von Aktivisten“. Wenn sie dann aggressiv gegen friedliche Demonstranten der Pegida vorgehen, wird von „Randale am Rande der Pegida-Demo“ berichtet. Egal, wir kennen das und wissen, was der vorletzte Platz bedeutet. Ich weise nur gerne darauf hin.

Und so geht es im Text erwartbar weiter:

„Ein oder mehrere unbekannte Täter haben in der Nacht zum Dienstag das Privatauto des umstrittenen Dresdner Politikprofessors Werner Patzelt angesteckt.“

Nein, sie haben es nicht „angesteckt“, denn mit einem Streichholz allein bewirkt man an einem Auto nicht viel; da dürfte schon aktiv nachgeholfen worden sein, Stichwort „Molotow“. Ein beliebtes Instrument linksrevolutionärer „Aktivisten“, wenn sie denn mal aktiv werden. 

Aber noch wichtiger: Welche Bedeutung hat das Wort „umstritten“ in diesem Zusammenhang? Macht es einen Unterschied, ob man das Auto eines „umstrittenen“ oder eines „unumstrittenen“ Professors abfackelt? Erwartet man mehr Verständnis, weil es ja logisch ist, wenn einer schon „umstritten ist“, naja, da ist dann die Gefahr größer? Gibt es einen Versicherungsmalus, dass „Umstrittene“ in Zukunft eine eigene Polizze mit höherer Prämie und schwerer eine Kasko bekommen, weil bei ihnen die Gefahr spontaner Selbstentzündung bei abgestellten Autos größer ist?
Wieso, ihr dubiosen Gazettenschreiberlinge, muss er „umstritten“ sein? Ihr holt euch doch permanent einen auf irgendwelche Kodizes runter, dass man Herkunft, Hintergrund oder Zusatzinformationen selbst zu Schwerverbrechern nicht bekanntgeben darf, wenn dies nicht in einem direkten Zusammenhang mit dem Verständnis der Tat steht, und dann erklärt ihr ein Opfer eines Verbrechens zu einer „umstrittenen“ Person?
Auf die Frage, ob ihr Scham kennt, verzichte ich. Man muss keine Fragen stellen, wenn man die Antwort bereits deutlich vor sich stehen hat.

„Es werde in alle Richtungen ermittelt, ein politischer Hintergrund nicht ausgeschlossen.“ 

Ach was. Wundert einen ja nicht, wenn der schon „umstritten“ ist. Gut dass die Polizei in alle Richtungen ermittelt. Waren vielleicht spielende Kinder, oder eine enttäuschte Affäre. Oder Rechtsradikale, die den armen braven linken Engelchen heimtückisch eine Straftat anhängen wollen, die die natürlich niemals begehen würden.
In Deutschland brennen momentan täglich Autos. Besonders in Hamburg und Berlin, aber auch immer wieder in Leipzig oder Dresden. Ist eine brenzlige Gegend. Sind alles Selbstzünder, hahaha.

„Das Fahrzeug vom Typ Mitsubishi war abgestellt an der Kreuzung Niederwaldstraße/Ecke Voglerstraße in der Nähe des Wohnhauses von Patzelt im Stadtteil Blasewitz.“

Das finde ich toll. Wirklich! Der Mann wurde gerade Opfer eines sehr wahrscheinlich politisch motivierten Terroranschlages und der „Tagesspiegel“ hat nichts Besseres zu tun, als den Sympathisanten der Täter eine exakte Beschreibung des Wohnortes dieses „umstrittenen“ Mannes zu geben und einen Hinweis, wo genau man jetzt vielleicht seinen Ersatzwagen geparkt finden kann. Das muss man sich jetzt wirklich mal in kleinen Häppchen geben: Täter werden geschützt bis zum kompletten Verfälschen jeglicher Angabe, und Opfer müssen damit rechnen, dass sie ihre Adresse in der Zeitung lesen?

„Die Polizei hat um eine genaue Nennung des Tatorts gebeten, um leichter Zeugen finden zu können.“

Genau, selbst verschwommene Fahndungsfotos nach Gewaltverbrechen werden erst nach drei Monaten veröffentlicht, aber den exakten Autoabstellplatz des „umstrittenen“ Professors, den muss man aus ermittlungstechnischen Gründen präzise angeben. Und Zeugen, die an einem anderen Ort beobachtet haben, wie ein anderes Auto angezündet wurde, will auch keiner haben. Das muss schon jeder Zeuge wissen, ach je, jetzt bin ich aber nicht so sicher, als ich das letzte Nacht gesehen habe wie die zwei Vermummten den Molotowcocktail durch die eingedroschene Seitenscheibe geworfen haben, ob das jetzt an dieser Straßenecke war oder drei Straßen weiter, gut dass die Presse den genauen Standort rausgegeben hat, da muss ich gleich mal bei Google Maps nachschauen…

„Patzelt hat mehrere Studien zur fremdenfeindlichen Pegida-Bewegung, die in Dresden ihren Stammsitz hat, erstellt. Auch Kollegen der Technischen Universität haben Patzelt immer wieder als "Pegida-Versteher" kritisiert.“

Aha. Und was genau hat das jetzt mit dem Abfackeln seines Autos zu tun? Auch hier wieder der plumpe Versuch der Täter-Opfer-Umkehr durch einfaches: Selbst Schuld! Der Verdacht liegt nahe, dass es hier ganz bewusst nicht nur darum geht, einen Sachverhalt erklären zu wollen, sondern vielmehr um das deutliche Bild:

Bürger, wage es nicht, Kritisierbares zu tun, sonst brennt eines Tages auch dein Auto und steht dann auch deine Adresse in der Zeitung, damit die Nachahmer auch genau den Weg zu dir finden!

„Sachsens SPD-Chef und Wirtschaftsminister Martin Dulig nannte den Brandanschlag auf das Auto Patzelts inakzeptabel. "Gewalt ist keine legitime Form der Kritik", twitterte er.“

Und dieser tweet ist eine ekelhafte Form der Propaganda. Die verhaltenskreativen Revoluzzer aus seiner Parteijugend, die dem normalen Verhaltismus folgend an erster Adresse der Verdächtigen stehen, üben keine Kritik. Sie terrorisieren. Sie brandschatzen. Sie zerstören. Das hat mit Kritik genau gar nichts zu tun. Aber dieser tweet hat mit Verharmlosung zu tun, mit Opferverhöhnung.

Und wo bleibt die Meinungsäußerung des Ministerpräsidenten? Menschen, die protestierend vor einem Bus stehen, sind keine Menschen, sondern Verbrecher. Aber Menschen, die anderer Fahrzeuge gleich abfackeln sind „Kritiker“?
Euer Vokabular verrät euch. Ihr seid die wirklich „Umstrittenen“, die „Dubiosen“, die „Fragwürdigen“.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

War es nicht Karl Kraus, der durch schlichte Sprachanalyse grausige Leichenkeller öffnete?