„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Donnerstag, 16. März 2017

Alternative Fakten



Schauen wir uns einmal kurz zwei Pressemeldungen an, die einen eklatanten Mangel an Übereinstimmung kennzeichnet.

Zur Vorgeschichte, der Holzhammerdiplomatie der provozierenden Türken und der wahlkampfbedingten Härte der Reaktion Ruttes und den Kotzattacken des Operettensultans ist wohl schon alles gesagt worden. Im Ergebnis fordert der verhaltenskreative Rüpel mit dem charakterunterstreichenden Bärtchen allen Ernstes eine Entschuldigung der Holländer.
Mit scheinbar zwei komplett unterschiedlichen Ergebnissen.

Als Erstes mal die FAZ. Zu der muss man nicht viel sagen, die ist allgemein bekannt. Deshalb habe ich sie gewählt; in allen möglichen anderen deutschen Medien lauteten die Meldungen allerdings gleich.

„Regierungschef schließt Entschuldigung wegen Auftrittsverbots aus

Gut, in den Schlagzeilen deutscher Medien stehen gerne mal Dinge, die sich später im Artikel etwas anders darstellen, deshalb schauen wir mal weiter.

„Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat eine Entschuldigung für die Ausweisung der türkischen Familienministerin und das Einreiseverbot für den türkischen Außenminister ausgeschlossen. „Es steht außer Frage, dass es eine Entschuldigung gibt, sie sollten sich dafür entschuldigen, was sie gestern getan haben“, sagte Rutte am Sonntag am Rande einer Wahlkampfveranstaltung in Den Haag.“

Klingt eindeutig, oder? Kann man als übereinstimmend mit der Überschrift gelten lassen. Und es wird nachgelegt:

„Im Interesse der „Beziehungen innerhalb der EU, mit der Türkei“, sei es nun wichtig, „die Lage zu beruhigen“. Falls die Türkei aber weiterhin „in aufrührerischer Weise über die Niederlande spricht, müssen wir weitere Schritte in Erwägung ziehen“, warnte er.“

Gut, hört sich so an, als ob die Holländer ziemlich stur auf Linie bleiben, zumindest bevor das letzte Wahllokal schließt.

Im Gegensatz dazu Daily Sabah, die Hauspostille des Sultans. Zu der kann man sich über Wikipedia ein paar nette Infos holen. Auch die Geschichte der Calik Holding ist interessant.

„Ministerpräsident Rutte entschuldigt sich für Konsul-Festnahme“

Welche Konsul-Festnahme? Haben wir da was verpasst? Da war was mit der Absage der Landeerlaubnis für den türkischen Außenminister und mit der Blockade der türkischen Familienministerin ein paar Meter vor dem Konsulat und mit gewohnt besonnenen „Demonstranten“ der Erdogan-Fans, aber eine Festnahme des Konsuls? Ich meine, Holland ist Unterzeichner des Wiener Übereinkommens von 1961, man nimmt keinen Konsul mal eben so fest ohne dass es ein weithin hörbares diplomatisches Erdbeben gibt. Komisch, dass man solches scheinbar nur in Ankara hört.

Ebenso erstaunlich die Aussage, Rutte hätte sich entschuldigt. Eben in der „FAZ“ las sich das anders. Mal sehen, was da noch kommt.

„„Während des Telefongespräches entschuldigte sich Herr Rutte für die Festnahmen des Charge d'affaires und dem Generalkonsul", sagte Yıldırım.
„Herr Rutte sagte, dass die Festnahmen ein Fehler gewesen seien", fügte er hinzu.“

Also auch intensives Googeln hat ausschließlich in türkischen Medien Hinweise auf eine angebliche Festnahme eines Konsuls gebracht, der ganze Rest der Welt hüllt sich in Schweigen. Eine Weltverschwörung? Scheint so, denn auch sonst hat niemand eine Entschuldigung von Rutte gehört. Nur ein Türke am Telefon, und Türken sagen immer die Wahrheit während alle Nichttürken immer lügen. Würden Türken jemals eine Meldung fälschen? Das würde ja heißen, Türken würden türken? Woher wohl dieses Verb kommt…

„Er erklärte, dass die niederländischen Beamten ebenfalls nicht wünschten, dass sich die Spannungen so weit erhöhen. Er bot sogar ein gemeinsames Abendessen an."

Schweinebraten mit Käseknödel oder was? Wer glaubt das? Ich meine, wer ist kein Türke und glaubt das?


Die deutschen Medien berichten davon, dass Rutte eine Entschuldigung kategorisch ablehnt, die Hauspostille des Sultans weiß von kriecherischem Unterwerfungswinseln zu berichten.

Das übliche Manipulationswerkzeug der deutschen Medien besteht in attributiver Adjektivierung und Verschweigen. Man lässt Lücken und setzt gegen die Löcher im Text attributive Adjektive ein. „Der rechtspopulistische nationalistische und islamophobe Herausforderer hat nichts dazu gesagt“ ist ein musterhaftes Beispiel dafür, wie man attributierte Nichtinformation verbreitet. Oder es wird der Bezug vertauscht. Wohlgemerkt der Bezug, nicht die Tatsache, denn erst wird der Bezug in der Schlagzeile verändert („Schwere Randale am Rande des Pegida-Aufmarsches“) um ihn im Artikel dann richtigzustellen, als wäre nichts gewesen („Linksextreme Gegendemonstranten haben…“), im Wissen, dass die meisten Leute eh nur den Titel lesen. Lückenpresse.

Was Erdogans Hauspostille für einen Wahrheitsgehalt besitzt, da kann sich dann jeder selbst ein Bild von machen. Wenn ich aber davon ausgehe, dass viele Türken hier bei uns sich aus solchen Medien über ihre Heimat informieren, wundert mich deren Indoktrination und Erdoganbegeisterung gar nicht mehr. Die lesen die schalmeiende Propaganda aus 1001 Federkielen der erdoganhörigen Presse, erleben aber die Alltagsrealität in der Türkei nicht. Daraus resultiert dann der breite Jubel für den Sultan, der hierzulande weit höher ist als in der Türkei selbst. Mit voller Hose ist auch für einen strammen turknationalistischen Muslim gut stinken.

Da ich selbst schon erleben durfte, wie leicht viele Türken begeisterungsfähig sind, wenn man ihnen durch die Blume mit irgendwelchen Fake-News das Gefühl gibt, Mitglied der wahren Herrenrasse und moralisch weit über jedem anderen Stehend zu sein, rechne ich mit einem klaren „Evet!“ am 16. April. Den Rest erledigt dann die neutrale und absolut ehrliche Stimmenauszählung.

Was man sich aber auf der Zunge zergehen lassen muss: Wenn Erdogan am 16. April faktisch alle Macht auf seine Person vereint, hat er neben dem gleichzeitigen Parteivorsitz der Partei mit absoluter Mehrheit (hohe Prozenthürden und eingekerkerte Opposition sind praktisch) und damit der Mehrheit der Abgeordneten im Parlament, was faktisch der absoluten politischen Macht im Staat entspricht, auch einen milliardenschweren Medienkonzern an der Hand, der für die richtige Stimmung im Land sorgt. Wie es den Sultan kritisierenden Medien geht, sieht man ja. Doch, egal was die Propagandatürken noch so beschönigen und lügen, es ist eine Diktatur, die da entsteht. Die unappetitlichste seit 80 Jahren.

Wir sollten uns darauf vorbereiten, dass es noch sehr ungemütlich wird. Denn dieser Größenwahnsinnige wird nicht am Bosporus Halt machen. Das hat er zur Genüge bewiesen, er betrachtet bereits jetzt die halbe EU als seine Nordprovinz. Wo Türken sind, ist die Türkei. Und hier gibt es mehr als genug davon.

Keine Kommentare: