„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Samstag, 6. Mai 2017

Fettgefressen und selbstvergessen

Man kann zu Xavier Naidoo ja stehen, wie man will; ich finde seine esoterischen Ergüsse grenzwertig. Aber er sagt was er denkt und lebt das, was man in einer funktionierenden Demokratie als Meinungsfreiheit bezeichnet. Und so rotzt der Weltverschwörungsbarde ein freches Liedchen über jene fettgefressenen und selbstvergessenen Volks-Zertreter heraus, denen er in guter alter Manier des Luther-Jahres eine Klärung der Machtverhältnisse durch Mistgabeln an den Hals wünscht. Und wer regt sich als Erste auf?

Claudia Roth.

Ja, genau dafür hat uns der Große Schöpfer des Universums eine Zunge geschenkt: Damit wir uns sowas darauf zergehen lassen können. Claudia Roth tobt über Xavier Naidoo, weil der, festhalten:
plumpen und gewaltverherrlichenden Pegida-Sprech verwende, der die gesellschaftliche Verantwortung, gerade gegenüber den jüngeren Fans, kläglich vermissen lässt. Denn Kunst sei zwar frei, aber... an dieser Stelle muss man nicht weiterlesen, denn bei der Freiheit der Kunst oder der Freiheit der Meinung gibt es kein Aber, denn wenn es ein Aber gibt, ist es keine Freiheit mehr. Meinte die Empörungsbeauftragte der Grünen ja auch bei Jan Böhmermann. Aber der rotzte ja nur gegen den Großsultan, aber Naidoo rotzt gegen unsere Obertanen, und siehe da, da sitzt die buntbehängte Weihnachtsbaumkugel ganz oben. Zumindest noch, denn wenn die Grünen so weitermachen, sollte sie sich beruflich neu orientieren.

Auch andere toben, zum Beispiel der verdeckte Drogenbeauftragte der Grünen Volker Beck, der in dem Song Tatbestandsmerkmale von Volksverhetzung sieht. Wenn ausgerechnet Volker Beck von Tatbestandsmerkmalen spricht, dann hat das genauso ein „G'schmäckle“, wie eine Claudia Roth, die Künstler zu Verantwortung ruft.
Denn, falls es jamend vergessen haben sollte, es gab da mal eine ultralinke Punkband, die solches grölte:

Bomber fliegen, Panzer rollen,
Polizisten schlagen, Soldaten fallen,
Die Chefs schützen, Die Aktien schützen,
Das Recht schützen, Den Staat schützen.
Vor uns!
Macht kaputt, was euch kaputt macht!“

Oder der damals amtierende Bundeskanzler sich in der Liedzeile wiederfand:


Die Staatsgewalt wurde nicht gerade freundlich dargestellt und auch die Politiker bekamen ihr Fett weg, ja , sogar Gewaltverherrlichung wurde gebrüllt:

Doch der Einsatzleiter brüllte: "Räumt den Mariannenplatz,
damit meine Knüppelgarde genug Platz zum Knüppeln hat!"“

Sag mir eins, ha'm die da oben Stroh oder Scheiße in ihrem Kopf?“

Wenn die das Rauch-Haus wirklich räumen,
bin ich aber mit dabei und hau den ersten Bullen,
die da auftauchen ihre Köppe ein.“

Klingen so Texte, die von künstlerischer Verantwortung und Bewahrung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung strotzen? Oder ist das gewaltverherrlichendes Anarchisten-Gegröle? Wo war da der Protest einer Frau Claudia Roth?
Ach ne, die war ja da noch gar nicht in der Politik. Die war da noch Managerin einer wild grölenden anarchistischen Punkband, deren Einstellung kaum von der heutiger „Staatsverweigerer“ abwich. Die Band hieß „Ton Steine Scherben“, und alle oben angeführten Textpassagen kommen von dieser Band, deren Managerin eben jene Claudia Roth war, die sich heute über Xavier Naidoo aufpudelt.
Fettgefressen und selbstvergessen eben.

Der „Welt“-Artikel gibt aber noch ein Schmankerl her. Man begründet die „rechtspopulistische“ Tendenz des Barden ohne mit der Wimper zu zucken mit einem Spruch aus dem „Morgenmagazin“, wo er 2011 den Ausspruch tätigte:

Wir sind nicht frei. Wir sind immer noch ein besetztes Land.“

Na potzdunnerlittchen, erstens ist das so ziemlich die gleiche Denkart, die vor Jahrzehnten bereits „Ton Steine Scherben“ artikuliert hat: die BRD als Marionette der USA. Das war mal so richtig ultralinkes Kerndenk, und plötzlich ist das ein Beweis von „Rechtspopulismus“? Waren die Punker der Achtziger also verkappte Nazis, oder sind die Rechten jetzt die neuen Linken oder wie meinen die das? Und zweitens deckt sich das ja mit der Aussage eines Herrn Schäuble, der immerhin im gleichen Jahr 2011 tönte: 
 „Und wir in Deutschland sind seit dem 8. Mai 1945 zu keinem Zeitpunkt mehr voll souverän gewesen.“
 
Ui, der Rollifahrer ein verkappter Verschwörungstheoretiker und rechtsextremer Hetzer? Und der sitzt in der Regierung? Oh, schnell, holt die Empörungsfeuerwehr, wo ist Frau Roth wenn man sie mal braucht...

Zum Abschluss noch ein paar Worte aus dem Artikel zu Naidoos neuem Album:

In den Online-Bewertungen des Albums klatschen viele Nutzer jetzt Beifall. Sie bezeichnen Xavier Naidoo als „deutschen Patrioten“, die Söhne Mannheims als Mutige, die den Mumm hätten, „gegen den Strom und das abgehobene Establishment zu schwimmen“.“

Komisch, dass man mit sowas Erfolg haben kann, oder, Frau Roth?
Wie viele Platten haben „Ton Steine Scherben“ damals verkauft? Und an welche Leute?
Ach, schon vergessen? Vergessen, was man selbst gemacht hat?

Oder um es mit „Ton Steine Scherben“ zu sagen:

Sag mir eins, ha'm die da oben Stroh oder Scheiße in ihrem Kopf?“

Scheint so. Aber vielleicht sind sie auch nur fettgefressen und selbstvergessen.

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