„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Samstag, 13. Mai 2017

Kanzlerjammer

Man sollte es kaum für möglich halten, aber manchmal ist das Beherrschen nur einfachster mathematischer Grundfunktionen wie der Addition ganzer Zahlen auch außerhalb der Volksschulmauern nützlich. Zum Beispiel wenn man erkennen will, was eine „Mehrheit“ sein soll. Und es scheint auch ein Grundgesetz zu sein, dass sich Politik, wie weiter oben bereits erwähnt die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln, meistens im „Mimimi“ erschöpft.

Unser Ungewählter, der weiß, dass an dem Tag, an dem vorgezogene Neuwahlen stattfinden, seine Kanzlerschaft beendet ist und er maximal als Straches Juniorpartner und Vorkoster am großen Regierungsbankett teilnehmen darf, wenn überhaupt, wehrt sich also mit Händen und Füßen gegen Wahlen. Kann man verstehen, wirkt aber nach seinem inzwischen einjährigen Permanentwahlkampf lächerlich. Aber egal, steht das Wasser bis zum Hals greift man zur Not auch nach einem alten Benzinschlauch als Schnorchel. Und so volltönt der Große Fahrdienstleiter, wie man hier nachverfolgen kann, dass er auf jeden Fall weitermachen will. „Zur Not“ (der ist echt gut!) auch ohne ÖVP. Weil er den Kurz nicht aushält.

Die beiden haben nämlich ein grundlegendes Problem miteinander: Sie sind sich zu ähnlich. Sie stehen gern im Rampenlicht, drehen sich selbstverliebt wie kleine Diven im Tütü vor ihrem begeisterten Publikum und genießen die verbalen Unterhöschen, die ihnen auf die Bühne geworfen werden. Sie kündigen an, werfen jedem potenziellen Auditorium die Parolen vor, von denen sie glauben, dass die das hören wollen, machen sich zur One-Man-Show und versuchen ihre Parteien zu Führervereinen umzuformen (was den Roten historisch bedingt leichter fällt als den Schwarzen...). Eine geradezu lächerliche Panoptikum-Vorstellung, eine bunt geschminkte und aufmerksamkeitsheischend krakeelende „Austrias next Vizekanzler“-Show, die sich Strache als (noch) schaumgebremster Juror mit erkenntlichem Amusement geben kann. Er rotzt die beiden Provinz-Diven gelegentlich Dieter-Bohlen-mäßig an und genießt die Verstörung der Beiden, die um seine Gunst buhlen. Und das alles in der Hoffnung, dass der Wahlpöbel nicht merkt, dass sie alle beide nur Dampfplauderer sind, die schon die längste Zeit wenigstens einen Bruchteil ihrer jeweiligen vollmundigen Ankündigen in konkrete Arbeit hätten gießen können.
Meine Fresse, was für eine Show spielt sich hier momentan ab! Hätte sich das jemand vorstellen können, das wir sowas mal in Österreich erleben?

Kurz ist seit Jahren Regierungsmitglied und hat bis auf kantige Sprüche und mehrere Nachweise, ein begnadeter Sprücheklopfer zu sein, der zwar hervorragend argumentieren kann, aber die Erklärung schuldig bleibt, warum er die ganzen bekrittelten Punkte, die (viele merken es scheinbar nicht) meist in sein eigenes Ressort fallen, nicht einfach mal abarbeitet, noch nichts wirklich Großes bewegt. Die „Schließung der Balkan-Route“, das „Abschotten“ wie die grünen Realitätsverweigerer das nennen, hat ein paar kleine Schwachpunkte. Erstens hat dieses medial aufgebauschte Aufstellen eines Gittertores an einem griechisch-mazedonischen Grenzbahnhof von der EU konzertiert stattgefunden, um Merkel innenpolitisch kurzfristig den Arsch zu retten. Das war eine einzige riesige Schmierenkomödie, Großes Europapolitisches Schauspiel, eine win-win-Situation: Merkel hat ihr Gesicht gewahrt und Kurz sich innenpolitisch im Erfolg gesonnt, der kleine tapfere Asterix gegen die großen bösen Cäsaren aus Brüssel zu sein. Zweitens ist die Balkan-Route alles andere als dicht, es strömen zehntausende illegale Migranten im Jahr weiter zu uns. Wo kommen die wohl her? Können die alle Beamen? (Dass es eine solche Technik bereits gibt, ist erwiesen: Wenn man in dem Großen Roten Elektronikmarkt zufällig einen Fachberater entdeckt, löst der sich plötzlich in Luft auf und materialisiert in einer ganz anderen Abteilung, in der er grundsätzlich nicht zuständig ist...) Oder fliegen hier auch schon die „Flüchtlingsbomber“ den Nachschub ein? Glaube ich nicht. Hier diffundieren ganzjährig Menschenmassen durch die grüne Grenze, über die wir lieber nichts erfahren wollen. Oder besser: sollen. Weshalb wir nichts darüber lesen oder hören, aber gelegentlich erstaunliche Migrationszahlen randbemerkt erfahren. Die Schließung der Balkanroute war ein Medienspektakel ohne Substanz, also der einzige große „Erfolg“ unseres Jungspundes eigentlich eine Nullnummer wie seine „Geilomobil“-Tour.

Und Kern? Hat ein ganzes Jahr Kanzlerschaft gebraucht, um einen „Plan A“ in einer Las-Vegas-reifen Selbstdarstellungs-Show zu präsentieren, also überhaupt einen Plan zu haben. Leider hat dem in seinen Mind-Maps kreativtechnisch die Seminare aus seiner Bahnmanagerzeit nachspielenden Fahrdienstleiter keiner gesteckt (oder wegen der in solchen Kreisen durchaus weit verbreiteten teflonesken Beratungsresistenz: stecken können) dass bereits ein Plan existiert. Nennt sich Koalitionspakt und wurde von beiden Seiten ausverhandelt. Den hätte er nur weiter abarbeiten brauchen (oder besser: überhaupt mal damit anfangen sollen) anstatt dem angeblichen Regierungspartner einen eigenen Plan aus der eigenen Suppenküche vor den Latz zu knallen und auszurichten, dass dies jetzt faktisch der neue Weg der Regierung sei. In der Politik läuft es eben nicht ganz so einfach wie im Eisenbahnbetrieb (oder beim Verbund oder innerhalb der Paddei), wo der Chef eine Anweisung rausknallt, und egal wie unsinnig die ist oder wie wenige Leute davon überzeugt sind, alle haben gefälligst zu gehorchen. Politik funzt dann doch nicht so wie das Management von geschützten Werkstätten. Und ein Jahr ist eine genügend lange Lernphase, um das mal zu merken.

Was den Wählern jetzt endgültig auf den Senkel geht ist dieses ewige Nichtstun. Seit zehn Jahren wird jeder noch so weitreichend wirkenden internationalen Entwicklung und jeder die kleinen Leute noch so treffenden nationalen Entwicklung mit entschlossenem Nichtstun und felsengleicher Starre begegnet. Es wird geredet, gelabert, Papier vollgeschmiert, Mikrofone vollgesabbert, hingeredet, hergeredet, hergerichtet, hingerichtet, Gesetze beschlossen, Pläne entworfen und in ermüdender Regelmäßigkeit vor anstehenden Wahlen beliebiger Art ein entschlossenes „Aber jetzt!“ gerufen, das in kurzer Zeit in medialem Echo verhallt und dem gewohnten Hintergrundrauschen aus selbstdarstellerischen ZiB-Auftritten und vollmundigen Ankündigungen weicht.

Rot und Schwarz haben es geschafft, dass die Leute von ihnen dermaßen die Schnauze voll haben, dass die nächste Wahl sehr interessant wird. Nachdem Van der Bellen auch dem Letzten klargemacht hat, dass nur „keinen Blauen“ zu wählen nicht davor schützt, im Irrsinn zu versinken, würde ich nicht einmal meine Hand ins Feuer legen, dass eine Absolute für Blau unmöglich wäre. (Ob man sich sowas wünschen sollte, steht auf einem anderen Blatt.) Dass die Beiden aber jetzt mal wirklich anfangen so richtig was zu tun, kauft ihnen keiner mehr ab. Mit diesen zwei Parteien passiert da nichts mehr. Und ob es mit der dritten großen Partei besser wird ist auch noch nicht draußen, denn zum Verhindern sind die anderen immer noch genug.
Es gibt Momente, in denen man Erdogan versteht.

Ach ja, Kern will ja jetzt auch ohne ÖVP regieren.
Der Kanzler will mit wechselnden Mehrheiten weiterregieren...“

Ach ja? Mit welchen denn?
Nochmal zurück zur Mathematik.
Der Österreichische Nationalrat hat 183 Sitze.
SPÖ 52, ÖVP 51, FPÖ 38, Grüne 24, NEOS 8, TS 6, Wilde 4.
Rot-Blau käme auf 90, also zuwenig. Aber wer packt sich zu denen? Grün zu Blau nicht mal mit der Kneifzange. Höchstens die NEOS, nur um wichtig mitspielen zu dürfen. Außerdem: Wenn sich die Blauen dafür hergeben, nachdem sie selbst nach Neuwahlen geschrien haben, machen sie sich lächerlich. Ob sie eine Klatsche bei der nächsten Wahl riskieren, wenn sie jetzt so ganz oben auf dem Wellenkamm surfen?
Rot-Grün-Pink wären gar nur 84. Und das TS wäre unglaubwürdig, sich dem Fundamentalsozialismus dieses Triumvirats des linken Randes anzuschließen. Also da geht sich auch nirgends etwas aus, was man als „Mehrheit“ definieren könnte.
Also würde in dem Moment, wo Kern die Schwarzen vor die Tür setzt, unausweichlich eine Minderheitsregierung dahinvegetieren, deren fleißiges Arbeiten selbst das Level der letzten Jahre und Monate noch unterbieten würde, auch wenn man sich das schwer vorstellen kann.

Und wie sieht das unser Dampflokplauderer?
Ob man dies als Minderheitsregierung bezeichnen will, sei eine Geschmacksfrage.“
Nein, es ist eine Rechenfrage. Ich hatte gehofft, dass ein Kanzler mit Matura das wenigstens begreifen würde, aber ich stelle wohl immer noch zu hohe Anforderungen an unser Bildungssystem.

Schön ist es ja sowieso, sich die Eckmarken anzuschauen, um die die Roten sich gerade ihr Universum biegen. Wie Schieder zum Beispiel:
Kurz hat klargemacht und aufgedeckt, warum die letzten Monate permanent blockiert worden ist.“

Und ihr glaub, dass euch die Leute dieses „schwarze Blockierer“-Märchen abkaufen? Für das Nichthandeln und herumpfuschen in Nichtreformen mit Nichtnutzen sind sehr wohl beide Seiten verantwortlich. Und diese Strategie, Marke: „Wenn du nicht sofort alle meine Wünsche erfüllst, bist du ein böser Blockierer!“ wird schon lange durchschaut. Die Roten stellen eine unverschämte Forderung nach der anderen, von denen sie wissen, dass die meisten von jedem halbwegs denkenden Menschen abgelehnt werden müssen, und nehmen das als Begründung für Arbeitsverweigerung. Abgelutscht. Mimimi.

Kern verlangt darüber hinaus eine Entschuldigung von Kurz und der ÖVP.“

Eben. Noch mehr Mimimi. Mimimimimi.
 
Und selbst? Lässt er seinen eigenen Sohn ausreiten, um Kurz anzupinkeln. Ein echter Manager hat ja für jede Drecksarbeit seine Leute, das nennt sich dann Delegieren. Und wenn die dann ihre Drecksarbeit erledigt haben, stellt sich der Herr vor sein G'scherr:

Und Kern warnte Kurz davor, seine Familie in die politische Auseinandersetzung zu ziehen. Hintergrund: Die ÖVP hatte Kerns Sohn Niko heftig kritisiert, weil dieser Kurz in einem später gelöschten Tweet mit dem ugandischen Diktator und Massenmörder Idi Amin verglichen hatte.“

Hahaha! Ist der gut oder ist der gut? Der wirft seinen eigenen Sohn in die Schlammschlacht und lässt ihn recht geschmacklos Kurz anrotzen, und „warnt“ dann den Angerotzten davor, seinen Schlammwerfer „mit hineinzuziehen“.
Also Papa Kern, wenn du deinen eigenen Spross nicht genug im Griff hast, dass der (Wer hat ihn eigentlich erzogen?) sich zu Wort meldet und dabei unterhalb der Gürtellinie herumfuhrwerkt, dann ist das aber schon dessen eigenes Problem. Der ist ja wohl erwachsen, oder? Also genug des „Mimimi“. Ist ja wirklich jämmerlich dieses Gegreine.

Zum Schluss lässt der Kanzlerdarsteller hintenrum Kurz ausrichten, er möge doch zurücktreten:
"Wenn er nicht will, soll er sofort zurücktreten. Wir haben noch Optionen."
Genau das denke ich mir die ganze zeit über ihn selbst. Wenn es dir nicht passt, geh doch zurück zu deiner Modelleisenbahn im Maßstab 1:1 und spiel dort weiter. Wir Wähler haben auch noch Optionen. Lass uns nur zu den Wahlurnen, wir zeigen dir gerne, welche...

1 Kommentar:

Ein Skeptiker hat gesagt…

Was soll die Option für den Wähler sein? Mag sein, daß die FPÖ mit ca. 30% stärkste Kraft wird. Und weiter? Die restlichen 70% teilen sich auf das Gehabte auf. Ein Newcomer in der Art eines Team Stronach ist nicht in Sicht. Bei der nächsten Wahl verschieben sich die Akzente ein bißchen, ohne daß sich grundlegend etwas ändert. Und dann wird irgendwie weitergewurschtelt wie bisher. Weiter auf dem Weg in den Abgrund. Liegt dieser Pessimismus jetzt an meinem fortgeschrittenen Alter? ("Früher war's besser, alles wird schlechter"?) Sehe ich alles zu schwarz? Vielleicht wird eh alles gut. Allein, mir fehlt der Glaube an den Endsieg...