Die „NZZ“ hat eine neue Methode entwickelt, noch offener, freier
und lesernäher zu diskutieren. Zumindest aus ihrer eigenen Sicht.
Einige Leser sehen das eher anders, werden aber dafür auch gerne mal
gemaßregelt.
So gibt es generell keine Kommentarspalten mehr unter den Artikeln,
sondern einen eigenen, von den Artikeln abgekoppelten
Kommentarbereich, wo unter permanenter Überwachung und Mitdiskussion
der Moderatoren brav, sittsam und korrekt zu konkret vorgegebenen
Artikeln der NZZ auch die Leser zu Wort kommen dürfen.
Ich möchte das hier nicht näher erläutern; dass ich diese
Vorgehensweise vollkommen im Widerspruch zum Selbstbild der Redaktion
nicht als Bereicherung empfinde, ist eben mein Problem, und es kann
mir auch egal sein, wie sich eine Zeitung ihre Leserschaft vergrault.
Jedenfalls stellte sie zu einem lesenswerten Beitrag von Slavoj Zizek
eine
Debatte in den Raum: „Ist Political
Correctness nur eine neue Form des Elitarismus?“
Und da gab es ein wunderschönes Beispiel zu lesen, das in geradezu
leuchtenden Farben die Antwort auf die allem zugrunde liegende Frage
gab: Wie funktioniert Political Correctness eigentlich?
Zwischen Kommentatoren, die sich „IceKing“, „HansM“ und
„Norbert“ nennen, entspann eine kurze Diskussion, die ich hier
wegen ihrer klaren Aussagekraft unbedingt kommentiert wiedergeben
möchte.
„IceKing“:
„Political
Correctness ist nur eines der Instrumente, den politischen Diskurs
nicht mehr auf einer sachlichen sondern moralischen Ebene zu führen.
Wer sich gegen die Interessen von Lobbyisten stellt, die vorgeben,
Minderheiten zu vertreten, ist per se schlecht, denn er akzeptiert
keine pluralistische Gesellschaft. So oder so ähnlich wird versucht,
eigene Ziele einzubringen und sie gegen jedwede Kritik zu
immunisieren.“
Nach
meiner Erfahrung haargenau auf den Punkt gebracht: Unter dem
Deckmantel der Political Correctness wird eine neue, auf Emotionen
statt auf Fakten, also postfaktische, Diskussions-Unkultur
etabliert, die jede Aussage mit einer Moralkeule verknüpft. Das alte
Prinzip der DDR-Propaganda: Wir verteidigen den Frieden, also ist
jeder, der gegen uns ist, automatisch ein Feind des Friedens, ein
Kriegstreiber, ein Faschist. Heute muss man nur „Frieden“ durch
„Menschlichkeit“ ersetzen, und bekommt das komplette Abziehbild
der DDR-Propaganda vor den Latz gebügelt. Inklusive dem Hinweis,
dass man mit Feinden des Friedens oder eben des Humanismus nicht
diskutiert, sich diese selbst disqualifiziert haben und sie in Folge
deshalb von allen kollektiv ausgegrenzt, ja mit allen Mittel bekämpft
werden müssen, um den Frieden zu bewahren.
Doch weiter in dem vernünftigen Kommentar:
„Das es hingegen immer verschiedene politische Alternativen gibt für Probleme, ist hierbei völlig irrelevant. Die einzig richtige Möglichkeit ist diejenige auf der höher (gestellten) moralischen Ebene. Dabei wird aufmerksamkeitsheischend immer mit dem Einzelfall des armen, unschuldigen, Angehörigen einer Minderheit gemacht um so eine Mehrheitspolitik zu legitimieren, auch wenn diese am Ende für das Land schädlich ist. Political Correctness ist daher nicht unbedingt Elitarismus als viel mehr ein Stilmittel der politisch Linken, Klientelpolitik zu rechtfertigen.“
Ja. Hätte
inhaltlich von mir sein können. War es aber nicht. Egal, passt.
Natürlich braucht
es nicht lange, bis – wie immer, wenn eine Stimme der Vernunft
ertönt und ihre kritische Sicht auf die Dinge formuliert – der
lebende Beweis der Political Correctnes auftaucht, in diesem Beispiel
ein Kommentator, der sich den Nick „HansM“ gegeben hat, und erst
einmal beleidigt Beweise für die Aussage einfordert.
„HansM“:
„Sie können
Ihre Anschuldigung sicher beweisen:
"Political Correctness ist daher nicht unbedingt Elitarismus als viel mehr ein Stilmittel der politisch Linken, Klientelpolitik zu rechtfertigen."
"Political Correctness ist daher nicht unbedingt Elitarismus als viel mehr ein Stilmittel der politisch Linken, Klientelpolitik zu rechtfertigen."
Bringen Sie bitte
Beispiele, sie können hier die Beweise verlinken.
Wo wurde mit
diesem Begriff der politischen Korrektheit irgendeine Diskussion
abgewürgt?“
Das üblich Spiel.
Ausgerechnet die Verteidigung der PC, die Fakten durch Gefühl
ersetzt hat, lässt Empfinden nicht als Diskussionsgrundlage zu und
fordert Beweise, und das in einem durchaus recht pampigen Tonfall.
Naja, geschenkt. Dachte sich ein Kommentator mit dem Nickname
„Norbert“ und lieferte seine Sicht der Dinge:
„Norbert“:
„Als Beispiel:
die Diskussion über illegale Masseneinwanderung wird häufig mit
politischen Korrektheit abgewürgt. Es wird z.b. schlecht toleriert,
wenn ich den folgenden Satz in einer Gruppe ausspreche:
"Meiner
Meinung nach sollten die Boote der Migranten aus Libyen sofort wieder
an die Herkunftsstrände zurück gezwungen werden."
Sollte ich diesen
Gedanke ausspreche, hört man Antworten wie:
- "Aber die
Leute sind doch auf der Flucht von lebensgefährlichen Umständen!
Haben Sie kein Mitleid?" "Ihre Meinung ist offenbar
rassistisch motiviert zu sein."
Nun, meine echte
Position könnte ganz anders lauten: dass es für das afrikanische
Volk besser wäre, wenn ausgewählte Familien legal direkt aus Lagos
nach Frankfurt geflogen werden; oder wenn Studenten aus Zaire legal
Studienplätze an technischen Hochschulen bekommen könnten, damit
sie später zum Aufbau ihres Landes helfen könnten.
Aber, dank der
politischen Korrektheit, ist es fast unmöglich über das Thema
ordentlich zu diskutieren, obwohl es vielleicht sehr klug wäre,
Alternative zum chaotischen und gefährlichen Menschenschmuggel zu
finden.“
Beliebiges Beispiel,
treffende Darstellung. Ich erinnere mich immer wieder an diesen
überheblichen Auftritt Kerns im ORF, wo Lugar die Notwendigkeit der
Sicherung der EU-Außengrenze anspricht und Kern ihn mit dem Hinweis
auf in Aleppo sterbende Kinder kaltschnäuzig auflaufen lässt. Lugar
saß fassungslos da und wurde moralisch zum kaltblütigen Mörder
armer fliehender Kinder gestempelt. Hatte zwar mit seiner Frage, in
der es um die aus Libyen einströmenden afrikanischen
Wirtschaftsmigranten ging, nicht das Leiseste zu tun, spielte aber
keine Rolle: Moralkeule reicht. Postfaktisch. Jede weitere Diskussion
vom Tisch gewischt, denn zur Rettung von Kindern vor Assads
Fassbomben gibt es keine Alternative. Und wer gegen Flüchtlingsboote
ist, ist gegen die Menschlichkeit.
Genosse, bist du
gegen den Frieden?
Und jetzt schlägt
die Stunde des Politisch Korrekten, der ein solches Musterbeispiel
dessen, was er selbst als haltlosen Angriff diffamiert, abliefert,
dass man ein richtig dickes, großes, leuchtfarbenes „QED!“
darunter stempeln möchte:
„HansM:“
„Für mich ist
Ihr Beispiel zu den Migranten eben krass gegen unsere Rechtsordnung
(internationales Rechts, Seerecht, Menschenrechte etc).“
Ist
sie nicht. Menschen, die laut Seerecht aus Seenot gerettet werden
(dagegen findet sich nichts in dem Beispiel) können, ja sollen
durchaus in den nächstgelegenen Hafen gebracht werden, was im Falle
der „Bootsflüchtlinge“ meist Tripolis wäre. Wohin die libysche
Küstenwache diese Leute ja auch bringt. Nur die Schlepperboote von
Soros‘ NGO‘s und der EU-Frontex karren die nach Italien, was mit
gar keinem Recht geschieht. Und selbst wenn, begründet auch das noch
kein Recht auf eine Aufenthaltsberechtigung in Italien. Das
internationale Recht ebenso wie die allgemeinen Menschenrechte
begründen kein Recht auf Wunschdestinationen.
Da
wird alternativfaktisch durch das willkürliche Zitieren von
Rechtsnormen, ohne jeden Bezug auf deren Inhalt, aber weil es sich
gut anhört, die Aussage des Vorposters gleich mal als illegal
gebrandmarkt. Was sie nicht ist. Denn das Retten aus Seenot und
Zurückbringen der Geretteten an die afrikanische Küste widerspricht
keinem gültigen Recht. Auch das Zurückdrängen fahrtüchtiger Boote
ohne Seenot nicht. Wer keine Berechtigung zum Verlassen oder Befahren
von Hoheitsgewässern hat, darf die eben entweder nicht verlassen
oder nicht befahren. Das ist internationales Recht.
Internationales
Recht, sogenanntes Völkerrecht, ist es auch, dass Staaten souverän
darüber entscheiden, wie sie ihre Grenze schützen, wen sie über
diese Grenze lassen und welche grundlegenden Anforderungen sie
definieren, um einen Menschen ihr Staatsgebiet betreten zu lassen.
Komischerweise wird dieses Argument damit abgewürgt, dass das
Menschenrecht ja darüber stehe. Dass das nicht stimmt und es kein
grundlegendes Menschenrecht auf Außerkraftsetzung des Völkerrechts
zum eigenen Vorteil gibt, spielt dabei keine Rolle. Es geht nämlich
nicht um den Inhalt der Rechtsnormen sondern einfach um deren
moralische Dicke: Man schlägt das Buch nicht auf, sondern man
schlägt es auf den Kopf des Anderen. Da zählt nur die eherne Stärke
des Deckels und die Weite des Ausholens.
Gegenüber
seinem Vorposter geht es jetzt nur noch um die Diffamierung als
Rechtloser. Und wer nicht im Recht ist, der hat auch kein Recht.
Komischerweise gilt das nach Ansicht des Verteidigers der PC bei
seinem Vorposter durchaus, weshalb er nachschaufelt:
„Das ist für
mich ein Angriff gegen unsere Grundwerte, das hat nichts mehr mit
Diskussion zum Problem zu tun.“
Aus
der Ablehnung des Fährdienstes von Libyen nach Italien wird sofort
ein Angriff gegen unsere Grundwerte (entspricht der in Deutschland
gern vorgeschobenen „Verfassungsfeindlichkeit“ von Kritikern) und
prompt folgt der verkappte Maulkorb: Indem man behauptet, „das
hat nichts mehr mit Diskussion zum Problem zu tun“, beendet
man die Diskussion.
Ja,
genau das hat der Vorposter gemeint mit dem politisch korrekten
Abwürgen der Diskussion. Selbst seine vorgebrachten Vorschläge
werden nicht mehr beachtet, nur die einleitende Aussage mit der
Moralkeule massiert und damit die gesamte Causa von jedem Argument
entkoppelt zum „Bösen“ erklärt. Damit erübrigt sich jede
weitere Diskussion.
„Man könnte
dies auch anders angehen: Wie werden in Libyen Bedingungen für die
Rücknahme von Migranten geschaffen. Wie werden Bedingungen
geschaffen für die Rückführung von Migranten aus Libyen (und auch
Europa) in ihre Heimatländer. Aber bei Sprüchen wie an der
libyschen Küste einfach abladen etc, oder auch einfach ertrinken
lassen bis keine mehr kommen, ist eben eine Verletzung von
Grundrechten.“
Man
kann den Furor richtig mitleben. Unter Vortäuschung von
Lösungsvorschlägen, die sich alle nicht mit dem Problem und seiner
Vermeidung sondern ausschließlich mit dem Umgang mit den Folgen des
Problems beschäftigen, also überhaupt keine Lösungsvorschläge
sondern höchstens vollkommen unlogischen Stuss darstellen, wird eine
Argumentation vorgetäuscht, die nicht vorhanden ist. Kein Argument
zum Umgang mit dem Problem, kein Argument zur Vermeidung weiterer
Völkerwanderungen (wie sie der Vorposter aus seiner Sicht
angesprochen hat), nur weiteres moralisches Anschütten, das sogar in
der Darstellung gipfelt, der Vorposter hätte das Bild vermittelt, er
würde auf einer Stufe mit jenen stehen, die die Meinung vertreten,
man solle die doch einfach ertrinken lassen. Hat er nicht, aber wen
interessieren Fakten, wenn es um PC geht? QED.
An
diesem Punkt rutschen wir vom postfaktischen Moralfuror übrigens
haarscharf an die Grenze der Verhetzung. Hier beginnt der Verteidiger
der Political Correctness, die ja ach so viel Wert auf die
Wertschätzung und Positive Annahme jedes Menschen und die Vermeidung
jeder Form der Herabsetzung und Beleidigung legt, nach der vollkommen
willkürlichen und unbewiesenen Einstufung seines Vorposters als
mutmaßlichen Rechtsbrecher, ihn auch noch als potenziellen Mittäter
zu verhetzen, wenn es um das jämmerliche Ersäufen armer Flüchtlinge
geht.
Das
konnte man jetzt eigentlich kaum noch besser darstellen, wie es
funktioniert. Da hilft es auch nicht mehr, dass er in seinem Furor,
einmal losgelassener Gutmensch eben, noch ein bisschen postfaktisch
nachtritt:
„In dem Sinne ist das klar eine Einforderung von politischer Korrektheit. Aber in dem Sinne, dass keine Aufrufe zur Rechtsverletzung toleriert werden. Vor allem nicht wenn es sich um Grundlegende Rechtsprinzipien unseres Rechtsstaates handelt.“
Es
wurde zu keiner Rechtsverletzung aufgerufen und die Seenotrettung vor
Libyen ebenso wie das Schlepperunwesen nach Italien betreffen auch
keinerlei grundlegende Rechtsprinzipien der Schweiz. Und ob der das
jetzt toleriert oder nicht ist auch irrelevant, da er nicht die ganze
Menschheit vertritt, weder der Welt noch der Schweiz, auch wenn er
das allem Anschein nach durchaus in Erwägung zieht.
Geschenkt.
Aber
wer denkt, damit ist es vorbei, der irrt.
Denn
ein Argument hat der Gute noch, mit dem er dem Kritiker an der PC
noch so richtig eine reinwürgen kann; ein Nachschuss wie aus dem
Bilderbuch:
„Für mich ist
das auf gleicher Stufe anzusiedeln, wie wenn einige zur Pädophilie
aufrufen würden. Würden das diejenigen tolerieren, die dauernd die
politisch unkorrekte Rede fordern?“
Er stellt den Vorposter sogar mit Befürwortern der Pädophilie auf
eine Stufe. Pure Hetze.
Und doch konnte ich mir, als ich das am Ende dieses Musterbeispiels
der politisch korrekten Bigotterie lesen musste, das Lachen nicht
verkneifen.
Sind es doch genau die politisch Korrekten, die aus Rücksichtnahme
auf die religiösen Gefühle von in frühmittelalterlichem
Religionsverständnis Gefangenen die Legalisierung der Kinderehe
fordern.
Das setzt dem Ganzen doch das Krönchen auf.
1 Kommentar:
Sehr schön!
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