„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Montag, 6. März 2017

Merkelsprech



Ich wurde gebeten, auf diesen Artikel einzugehen und vor Allem auf Merkels Aussage. Dem gebe ich in diesem Fall gerne nach, weil es gleich zwei gute Gründe gibt:

Erstens hat es sich Merkel nicht nur durch ihre Position sondern auch in jahrelanger Kleinarbeit ehrlich verdient, dass man jedes ihrer Worte auf die Goldwaage legt. Wenn deutsche Journalisten sich darüber erregen, welchen Blödsinn Trump ablässt, dann staune ich immer wieder über ihre Fähigkeit, Blödsinn überhaupt als solchen zu erkennen, denn bei ihrer angehimmelten Alternativlosigkeit waren sie dazu bisher nicht wirklich in der Lage. Und bei ihrem designierten Nachfolger, dem Gottkanzler persönlich, verlieren sie diese Fähigkeit auch schön langsam.

Zweitens handelt es sich bei der Quelle um RT, ein Medium dass es sich ebenfalls verdient hat, argwöhnisch betrachtet zu werden. Nicht, weil es, wie die sich als neutrale Nichts-als-die-Wahrheit-Verbreiter Bezeichnenden verbreiten, das private Sprachrohr des teuflischen Putin ist, sondern ganz einfach weil es ein staatliches russisches Medium ist und ich staatliche Medien generell mit der Kneifzange anfasse. Das sind immer Hunde ihrer Herren. Lächerlich wird es nur, wenn sich ausgerechnet ARD, ZDF oder ORF darüber aufregen, dass RT über bestimmte Vorgänge in Europa etwa so neutral berichtet wie der ORF über Grasser. RT deshalb der Lügenpropaganda zu bezichtigen (hahaha, Lügenpresse nennt Lügenpresse Lügenpresse…) ist lächerlich. Neutralität in den Medien ist eine Illusion. Medien lügen nicht unbedingt, aber sie sortieren und geben nur jenen Teil der Meldungen, Tatsachen, Aussagen weiter, der ihnen in ihre Agenda passt. Klonovsky nennt es so schön passend Lückenpresse.

Doch kommen wir jetzt zu dem Artikel.

Bei Angela Merkel hat man immer irgendwie den Verdacht, sie würde deshalb Hosenanzüge tragen, weil man in einem Conwayschen Kleid (abgesehen davon, dass sie da nicht reinpassen würde) die im Rückenwirbelbereich angebrachte Stütze sehen würde, die verhindert, dass es diese mit einem aus reinem Kautschuk bestehenden Rückgrat versehene Politmarionette sonst zusammenfaltet wie ein Billa-Sackerl. Auf der einen Seite lässt sie intern gerne die Domina raushängen, pfeift auf Demokratie und Rechtsstaat und führt sich auf, als hätte die Krönungszeremonie bereits stattgefunden. Auf der anderen Seite kann man sich darauf verlassen, dass, wann immer klare Worte angebracht wären, ihre Hosenanzüglichkeit abtaucht und ihre Kettenhunde vorschickt.

So geschieht es auch jetzt, nachdem (hier eine Zusammenfassung der gegenseitigen Geschmacklosigkeiten und unkommentierbar hochnäsigen und peinlichen Rülpser beider Seiten in einem anderen RT-Artikel) die ersten diplomatischen Streicheleinheiten mit dem Nudelwalker ausgetauscht wurden. RT schreibt:

„Jetzt reagiert Merkel.“

Nein, tut sie nicht. Denn das, was da kommt, ist keine Reaktion, sondern Gewäsch.

„Die Rechtssituation in Deutschland ist so, dass wir ein föderales System sind und es kommunale Verantwortlichkeiten gibt, Länderverantwortlichkeiten und Verantwortlichkeiten des Bundes. Und was das konkrete Abhalten einer Versammlung anbelangt, liegt die Genehmigungspraxis auf der kommunalen Ebene. Da geht es um die Sicherheit einer Veranstaltung und vieles andere mehr.“

Grundsätzlich hat sie ja recht. Oder besser: hätte. Aus dem Munde einer Staatsmatrone, die sich aufführt als wäre sie die absolutistische Herrscherin des Landes, klingt das Abwälzen der Verantwortung an die Untergebenen nämlich nur noch peinlich. Typisches Merkelsprech. Sowie es aus irgend einer Richtung kalten Gegenwind gibt, schiebt sie die Verantwortung auf untere Chargen ab und zieht sich in ein geradezu führerbunkerliches Schneckenhaus zurück.

Die Aufgabe einer Staatslenkerin, als die sich die kleine uckermärkische Pastorentochter so gerne selbstbetrachtet, wäre es, mit einem deutlichen Statement die Situation zu klären. Ohne die türkische Rüpelhaftigkeit, aber auch ohne dieses mickrige weinerliche Abwälzen der Verantwortung auf andere. Klare Worte:
Die Rechtslage und unsere moralischen Grundsätze verbieten es, dass ausländische Regierungsvertreter offenen ausländischen Wahlkampf auf deutschem Boden abhalten, und davon bringt uns auch das empörte Toben eines Regimes nicht ab, das selbst demokratisch gewählten Abgeordneten zum Deutschen Bundestag, die deutsche Soldaten auf einem NATO-Stützpunkt besuchen wollten, die Einreise verweigert hat. Und wer ausländische Korrespondenten unter absurden und skurrilen Vorwürfen einsperrt, egal ob man die jetzt persönlich für Kotzbrocken hält oder nicht, hat das Recht verwirkt, andere über Meinungsfreiheit zu belehren. Solange die offizielle Politik in Ankara keine respektvollen Töne gegenüber Deutschland wiederfindet, wird dies als zusätzlicher Grund betrachtet, ihnen öffentliche Auftritte auf deutschem Boden zu verwehren, denn jemand, der solche Töne anschlägt, ist bei uns nicht willkommen.

Aber was lispelt Merkel zum Fall Yücel?

„Vom Grundsatz her setzen wir uns für die Meinungsfreiheit in Deutschland ein.“

Vom Grundsatz her setzen wir uns ein? Was ist das denn für ein Geschwätz? Kann dieser Floskelautomat nicht einmal eine klare Aussage machen? Zum Beispiel so:
Eines der grundlegenden Rechte der Bürger in einem demokratischen Rechtsstaat ist das Recht auf freie Meinungsäußerung, egal ob einem diese Meinung gefällt oder nicht oder ob sie den Wünschen der Regierenden entspricht oder nicht. Kritik ist ebenso erlaubt wie Lob, es darf, wie von den Vätern des Deutschen Grundgesetzes auf Basis unrühmlicher Erfahrungen weise festgeschrieben, keinerlei staatliche Zensur und Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit geben. Ein Angriff auf das Recht der freien Meinungsäußerung ist ein Angriff auf den demokratischen Rechtsstaat.
Oder, wer es kürzer haben will: Das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung ist unantastbar.

Sagt sie aber nicht. Warum nicht? Naja, könnte damit zu tun haben, dass sie in Punkto Meinungsfreiheit kaum andere Positionen vertritt als der Sultan in spe. Ich erinnere nur an Sarrazin und ihre hoheitliche Anweisung zum Rausschmiss. Oder ihr Schweigen zur medialen Hinrichtung Pirinccis. Oder das pikierte Herumeiern um Böhmermann. Freiheit ist die Freiheit der Andersdenkenden. Hat sie im FDJ-Agitpropseminar aber nicht gelernt. Deshalb lässt sie auch alte Kampfgenossen und Stasi-Mitarbeiter an einem Wahrheitsministerium basteln, deshalb duldet sie einen linksextremen Inquisitor vom Format eines Heiko Maas, der mit alten Stasi-Kommunistinnen besetzte Denunziationsbüros etabliert um die Meinungshoheit zu zementieren und Andersdenkende mundtot zu machen. Wenn Merkel über Meinungsfreiheit redet, dann ist das wie das Gesülze der Wesire Erdogans über die vorbildliche Religionsfreiheit in der Türkei. Deshalb wird es kein klares Statement von ihr geben, denn es würde sie selbst entlarven.

Und so erscheinen die untergriffigen Anrotzereien aus Ankara in einem etwas anderen Licht. Sie sind zum Teil nämlich gar nicht so unwahr. Der Tonfall ist unterste Schublade. Anatolische Folkore. Diplomatisches „Ischfickdisch“. Geschenkt.

Abschließend nochmal zu RT: Zumindest in diesen zwei Artikeln habe ich nicht viel Propaganda gefunden, wohl auch, weil man das gar nicht weiter kommentieren muss. Wenn Türken zu Wirtschaftssanktionen gegen Deutschland aufrufen oder mit dem Abzug türkischer Vermögen aus deutschen Banken drohen, dann erklärt sich das selbst. Das Einzige ist, dass neben vielen Aussagen, die man in unseren Medien auch findet, ein paar dazukommen, die weniger kommuniziert wurden, aber offensichtliche Lügen habe ich nicht wahrgenommen. Mag in anderen Artikeln anders sein und ich würde mich auch nicht dazu versteigen, RT einen höheren Wahrheitswert zuzuschreiben als anderen, aber es ergänzt die Information dahingehend, dass es einige der Lücken füllt, die unsere Medien so gern lassen.

Ich werde beide im Auge behalten. Merkel und RT.

1 Kommentar:

dna1 hat gesagt…

Danke für den Artikel, Fragolin

Natürlich ist auch RT nicht die objektivierte Wahrheit, aber ich schaue und lese mittlerweile trotzdem mehr Nachrichten auf RT als bei ARD, ZDF oder ORF, sie geben einen anderen Blickwinkel und bringen andere Informationen, und ich fühle mich weniger "propagandiert", als bei den deutschsprachigen mainstreams.
Wichtig ist umfassend informieren, klar. So gesehen halte ich auch den Begriff "Lückenpresse" für sehr zutreffend.

Und zu Merkel: Da kann ich nur mit dem Kopf schütteln, dass sich die Deutschen das alles gefallen lassen verstehe, wer will. Sie vertritt nie eine klare Positionen, außer solche, die dem Land schaden, redet immer nur im Kreis herum, und die Deutschen hängen an ihr und jede Kritik wird mit Rauswurf sanktioniert, wie unlängst einem Hamburger Abgeordneten passiert:
https://www.youtube.com/watch?v=J5UEpyLzlZA
Seine Behauptungen zur deutschen Flagge sind übrigens wahr und belegt, und was da jetzt so schlimm war an seiner Wortwahl, dass man ihn nach (!) seinem Vortrag des Saales verweisen muss, erschließt sich mir nicht. Ist etwa nur noch Lobhudelei zulässig?