„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Donnerstag, 22. März 2018

Hygienehysterie

Ach, was waren das für Zeiten, als die dralle Maid hinter der Wursttheke erst mit einem leicht angegrindeten Fetzen die klebrigen Krümel vom letzten Aufschnitt beiseitewischte und dann wollüstig am Leberkäse herummatschte, den sie daumendick in die Kaisersemmel stopfte. Wir mussten uns keine Sorgen machen, dass da irgendwas unhygienisch wäre. Immerhin trug die Wurstfachverkäuferin dabei Einweg-Fingerkondome, die wohl deshalb Einweg heißen, weil es es nur einen Weg für sie gab: morgens an die Pratzen und abends in den Müll.
Niemand konnte ja ahnen, dass daran irgend etwas unhygiensich sein könnte. Immerhin ist das Tragen von Bakterienverhüterli der ultimative Schutz.

Dass er zwar die Hand der messerschwingenden Leberkäsemaid vor den Bakterien im Rest der Welt schützt, aber den Rest der Welt nicht, kratzt diesen Rest nicht. Erst als die obrigkeitliche Weisung erging, itzt und folglich das Tragen gummierten Hautschutzes während der Zubereitung der Wurstsemmel für den hungrigen Installateurslehrling und kalorienbedürftigen Bauarbeiter zu unterlassen, fielen die Hygienegläubigen aus allen Desinfektionswolken. Denn jetzt, so ganz ohne vulkanisierte Finger, können Bakterien, die – so der feste Glaube der Priesterinnen des Gottes Domestos – ansonsten teflonesk von der Hand abperlen, ungehindert den Weg vom Putzfetzen zur Leberkässemmel finden. Und das wäre der Super-Gau!
Und so reicht diese Meldung aus, dass vorzugsweise weibliche Leserinnen in Schockstarre verfallen.

...für mich hat sich die Feinkosttheke auf jedenfall erledigt!“
...toben die Schneeflöckchen sofort los.

Im Pfegebereich auch bald oder wie?“
Man muss ja nicht mit Logik und Vernunft darüber nachdenken, um was es überhaupt geht und dass Äpfel nicht viel mit Birnen zu tun haben. Mimimi und kotz, fertig.
Bei manchen Leuten denkt man sich, die haben solche Angst vor Einzellern, weil sie sonst mehr Hirnmasse auf den dreckigen Fingern haben als zwischen den Ohren.

Ja,Richtige Hygiene ist leider vielen fremd.“
Richtig. Nämlich all denen, die glauben, Gummihandschuhe wären Hygiene. Frisch gewaschene Hände sind zwar weit hygienischer als durchgeschwitzte eintalkumierte Präservative für das Greiforgan, aber mach das mal Hysterikern verständlich.

....kaufe nichts mehr ohne das Handschuhe getragen werden!“
Auch keine Baumarktartikel? Und wie schaut‘s im Gasthaus aus?

Da in der Tierhaltung der Einsatz von Antibiotika weit verbreitet ist, bekommen die Feinkost-Mitarbeiter zukünftig direkt in Kontakt mit den multiresistenten Keimen.“
Nein, das kann ich nicht mehr kommentieren. Das muss für sich selbst sprechen.

...na viel Vergnügen in Schnupfen/Grippezeiten, da kaufe ich dann nur Verpacktes“
Genau. Das ist nämlich ganz von selbst in die Verpackung gelaufen. Das Unberührte Abendmahl aus der weichmacherdurchseuchten Kunststoff-Schutzverpackung. Der lebende Zellhaufen Mensch, in dessen Verdauungstrakt von der Zahnlücke bis zur Rosette zehnmal so viele Bakterien wohnen wie sein eigener Körper Zellen hat, muss sich vor ein paar weiteren Keimen, die in seiner Magensäure zersprudelt werden, dringend schützen und dafür eben in Kauf nehmen, organische Kunststoffe mitzufressen, die körpereigenen Enzymen und Botenstoffen chemisch entsprechen und auch unverdaut aufgenommen werden und irreversiblen Schaden im Körper bis zum Erbgut anrichten können.

In Zukunft kaufe ich nur noch abgepacktes, denn da sind die Hygienevorschriften noch so wie sie sein sollen.“
Wer noch nie in einem Produktionsbetrieb der Lebensmittelindustrie (allein der Name sagt alles) war, dem möge der Glaube nie abhanden kommen. Nur Wissen kann den Glauben nachhaltig zerstören. Die Vorschriften mögen so sein, wie sie sollen, das hindert aber keinen daran, sich einen Dreck darum zu scheren.

Ich werde Lactoveganer, wenn sich das durchsetzt.“
Gut, bleibt mir mehr.

Bei der Prostatauntersuchung auch keine Handschuhe mehr.“
Also jetzt bin ich erstaunt. Ich dachte immer, sowas wird im Spital erledigt, aber die Fleisch- und Wursttheke? Obwohl, so ganz unlogisch ist das nicht. Muss ich die stramme Matrone in unserem Spar-Markt gleich morgen mal fragen. Aber ich warte wohl besser, bis sie das Messer beiseite gelegt hat.

Na dann bis Mai alles einkaufen was es nur gibt.“
Richtig. Im Mai kauft man die Wurstsemmel für den August. Wenn sie dann schön grün und pelzig ist, ist sie garantiert hygienisch gereift.

Es ist ja so schrecklich, dass die neue türkisfaschistische Regierung des Grauens den unbedarften Pöbel den Keimen zum Fraße vorwirft!

Abgesehen davon, dass, wer schon einmal auf einem orientalischen, südamerikanischen oder ostasiatischen Straßenmarkt war, das Thema Hygiene generell aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet, finde ich es immer wieder unterhaltsam, wie Leute, auf deren Lenkrad mehr Keime wohnen als unter der Klobrille (weil diese weit häufiger geputzt wird) bedenkenlos den ebenso grindigen Griff ihres Einkaufswagens angreifen und mit diesen Dreckpratzen dann auch die Semmel auspacken, die sie unterwegs in sich hineinstopfen, mit allem, was auf ihren Fingern so leibt und lebt, sich aber aufregen, wenn die Wurstsemmelbelegerin keine Gummischicht auf der Hand trägt. Nicht ahnend oder besser wissen wollend, dass in dem körperwarmen Feuchtraumbiotop zwischen Gummimatte und fettcremeverschmierter Haut die Bakterien sich explosiv vermehren und Pilze wachsen und gedeihen, deren Namen nicht nach einem Waldspaziergang und einer duftenden Schwammerlpfanne klingen und die die holde Maid der knackigen Jause regelmäßig zum Hautarzt treiben zwecks Heilung der aufgedunsenen rissigen Ackerfurche für Keime.

Ich halte mich einfach (mal wieder) an meine großartige selige Großmutter, die dem ganzen Quatsch wohl mit einer ihrer kernigen Weisheiten begegnet wäre: „Dreck reinigt den Magen!“
Und macht gesund, wie wir wissen. Der Weg vom Dreck über das Desinfektionsmittel führte geradewegs in die Allergie gegen Alles und Jedes.
Wer den orientalischen Markt überlebt hat, den kann auch keine Fleischtheke bei Rewe mehr schocken.

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