Eigentlich bin ich ja bei
Danisch
über diesen
Spiegel-Artikel
gestolpert, der von ihm bekannt meisterlich als der Unsinn zerlegt
wurde, der er ist. Trotzdem möchte ich noch ein paar Gedanken
dazufügen, weil mich bereits die ersten Sätze fast aus dem Sessel
gehoben haben.
„Stellen Sie sich vor, Sie würden in einer Welt leben, in der
Sie sich frei entwickeln können.“
Wieso? Wieso soll ich mir das vorstellen?
Ich lebe immerhin in einer Welt, in der ich mich frei entwickeln
kann.
Meine Eltern waren einfache Arbeiter.
Ich habe einen einfachen Beruf erlernt.
Ich habe mich freiwillig nebenher weitergebildet, die Technische
Universität belästigt, Büchereien durchgraben, Weiterbildungen,
Schulungen und Seminare besucht. Das hat kein Arbeitgeber von mir
gefordert, keine „Gesellschaft“ von mir erwartet, sondern das ist
das, was ich selbst wollte. Heute bin ich selbständiger Unternehmer
mit Haus und Auto, ernähre eine vierköpfige Familie, unternehme mit
meinen Lieben Reisen und kann meinen Kindern einen guten Start ins
Leben ermöglichen. Also was soll ich mir besseres vorstellen,
bitteschön?
„In einer Gesellschaft, in der Selbstverwirklichung einen
höheren Stellenwert hat als Produktivität. In der Sie weniger
arbeiten und dafür Ihren Sehnsüchten nachgehen.“
Wir leben in einer Welt mit 40- bis 35-Stunden-Wochen und einer
Höchstzahl an Teilzeitarbeitsplätzen. Viele Frauen arbeiten –
durchaus auch auf eigenen Wunsch – nur Teilzeit. Im öffentlichen
Dienst boomt der Sabbatical, also nach drei Jahren mit 75% Verdienst
ein freies Jahr zuhause. Ich als Unternehmer kann mich, durchaus
saison- aber auch eigeninteressenabhängig, auch mal ein paar Tage
oder Wochen ausklinken; der „Papamonat“ war bei meinen Kindern
kein Thema, denn ich habe einfach ein paar Wochen meine Termine
abgesagt, auf Verdienst verzichtet und die Zeit lieber meinen Kindern
geschenkt.
Und ja, ich höre schon das Gemaule, dass das der einfache Arbeiter
eben nicht kann, mimimi.
Irrtum. Kann er. Wenn er seine Freiheit wahrnimmt und sich für einen
Weg wie meinen entscheidet, der vielleicht mühsam ist, mir aber mehr
gebracht hat, als er kostete. Jeder entscheidet selbst, was und
wieviel und in welchem Dienstverhältnis er arbeitet; genau wir leben
genau jetzt in der einzigen Gesellschaftsform, die genau das
ermöglicht.
Jeder kann lernen, studieren, leisten oder eben lieber
selbstverwirklichen oder weltreisen was und wie er will. Er muss nur
wollen. Als Erstes sich entscheiden wollen.
Denn meine Kollegen von früher, die mich beim Abendbier in der
Kneipe auslachten, weil ich derweil auf eigene Kosten die Schulbank
drückte, haben mich zwar später als Glückskind und Abtrünnigen
betrachtet, aber deren Neid kann mir egal sein, denn jeder von denen
hatte exakt die gleichen Möglichkeiten wie ich. Keine Gesellschaft
ist (noch) so frei wie unsere und kein Gefängnis kerkert so fest ein
wie das der eigenen Überzeugungen. Der dickste Käfig befindet sich
zwischen unseren Ohren.
Doch noch ein Satz zur „neuen Welt“:
„Und in der Ihre Mitmenschen Sie nicht nur tolerieren, sondern
annehmen, wie Sie sind - mit Ihrem Lebenskonzept, Ihrer Hautfarbe,
Ihrer sexuellen Orientierung.“
Ich will von meinen Mitmenschen aber nicht „angenommen“ sondern
eben „toleriert“ werden. Sie sollen mich ertragen, wie ich bin
(besonders linke Menschenformer und Gesellschaftsklempner können ja
gerade genau das nicht), müssen mich aber weder in ihre Cliquen,
Clans oder Kegelvereine aufnehmen. Mein „Lebenskonzept“ geht
schlicht keinen was an und ich kehre das auch nicht permanent nach
außen, da ich mich nicht darüber definiere. Auch nicht über meine
Hautfarbe oder gar über meine sexuelle Orientierung, die einfach
keinen Menschen was angeht. Ein weißer männlicher
Hetero-Unternehmer zu sein wird mir permanent von anderen
vorgeworfen, und zwar ausnahmslos ausgerechnet von den Parteigängern
jener, die sich auch in diesem Spiegel-Machwerk als die
höchstentwickelte Lebensform, den moralischen Herrenmenschen und
Großmeister der Progressivität und Toleranz selbstbeweihräuchern.
Ich habe ja in jüngeren Jahren neben all den Perry-Rhodan-Heftchen
und den dicken Science-Fiction-Schwarten amerikanischer
Raumschlacht-Autoren sehr gerne sowjetische Autoren wie die Gebrüder
Strugazki oder Sergej Snegow gelesen. Dort konnte man sehr gut sehen,
was die staatliche Zensur für ein Zukunftsbild um die Handlung
gelegt wissen wollte.
Das zukünftige Menschen- und Gesellschaftsbild des Kommunismus war
grundsätzlich das Gleiche: Maschinen erledigen alle Arbeiten und
Menschen müssen nur noch das tun, was sie gerade lustig sind. Und
der kommunistische Mensch hat kein größeres Vergnügen als sich zu
bilden, zu entwickeln und all sein Können freudig der Gesellschaft
zur Verfügung zu stellen. Einer der Punkte, warum der Kommunismus
nicht so funktioniert, selbst wenn die Automatisierung fortschreitet.
Denn der Mensch, „befreit“ von Arbeit und wohlversorgt mit allem,
was er braucht, wird faul. Er degeneriert zum Haustier seiner Alexa,
lässt sich füttern und streicheln, kommt nicht mehr aus der Couch
hoch. Er wird das, was man im Kinderfilm „Wall-E“ passend
beobachten kann: die in einem seit Generationen auf einem
5-Sterne-Vergnügungs-Raumschiff roboterversorgt dahindümpelnde
Rest-Menschheit hängt nur noch faul in schwebenden Sesseln und hat
einen Bildschirm vor die Nase geklappt. Anders als im
Happy-End-verpflichteten Film würden diese verfetteten
Stoffwechselklumpen auch nie mehr aus dem Schwebesessel steigen;
würde man sie rausschmeißen, täten sie einfach verhungern wie ein
verfetteter kastrierter Hauskater, den man im Wald aussetzt. Darwin
ist gnadenlos.
In dem dümmlichen Spiegel-Pamphlet wird genau dieses
sowjetisch-kommunistische Jubellied gesungen: Die geradezu
faschistoid-rassistische Einteilung der Menschen in die niederen
Entwicklungsstufen des dumpfen Konservativen und ewiggestrigen
Progressivitätsbremsers, der maximal als in enge Schranken gewiesene
Arbeitsbiene gehalten werden darf aber dem man möglichst die Zunge
amputieren sollte, und die gottähnlich erhöhte allseits gebildete
sozialistische Persönlichkeit als Krone der klassenkämpferischen
Evolution, die überall die Führung übernehmen und die dumpfen
Massen leiten muss, weil nur sie dazu überhaupt in der Lage ist.
Fehlt nur der Hinweis, dass einige wenige eine noch höhere Stufe
erreichen und dann als Große Vorsitzende, Väter der Nationen, Sonne
des Balkans oder was auch immer für pharaonengleiche Erhöhungen
dafür vorgesehen sind, die Lenkung der Massen übernehmen sollen.
Solche dumpfen faschistoiden Klassifizierungen stehen am Anfang einer
Entwicklung, an deren Ende schon immer ein Stalin, ein Mao oder ein
Kim gestanden haben.
Das ist das Niveau des „Spiegel“ heute. Die jetzige liberale
Gesellschaft der unendlichen Möglichkeiten schlechtreden um sie mit
kommunistischen Traumwelten und der Sehnsucht nach einer
Gesellschaftsform zu füllen, die bisher jedesmal in Ozeanen aus Blut
jämmerlich ersoffen ist.
Das sollte jedem klar sein, der diese Relotius-Schleuder überhaupt
noch anschaut.
Ach ja, was mir zu der komischen Einteilungs-Tabelle im Artikel neben
der Scientology-ähnlichen Schubladisierung der Menschen noch
einfällt: Wie kommt diese komische Tussi überhaupt darauf, dass der
„relativierende“, also eigentlich alles für bedeutungslos
erklärende und ohne jeden Denk- und Zeithorizont einfach in den Tag
hineinlebende Tachinierer die höchste Entwicklungsstufe darstellt?
Dem einfach alles und jeder vollkommen gleichgültig ist? Ich habe ja
schon eine Menge kläglicher Versuche erlebt, wie sich verkiffte
Geisteswissenschaftlerdarsteller ihre geistig-moralische
Überlegenheit selbst zurechtdefiniert haben, um nicht an der
Erkenntnis der realen eigenen Bedeutungslosigkeit zu zerbrechen, aber
das stellt wirklich eine besonders g‘schmackige Methode dar: statt
wenigstens einen Nutzen der eigenen Existenz herbeizufabulieren,
irgendwas mit angeblich für Wirtschaft und Gesellschaft
überlebenswichtiger Genderinklusionsdiversitätsintegration, erklärt
man sich selbst einfach mal so aus dem Handgelenk zur höchsten
Entwicklungsstufe des Menschen.
Das ist wirklich pittoresk. Was muss man alles rauchen, dass einem
sowas einfällt?
Was muss man sich spritzen, damit man das für ernst nimmt?
Und was erst, dass man es abdruckt?