Ein Sommerwochenende mal wieder für den selten gewordenen Luxus
verwendend, ein Buch zu lesen, habe ich mir leichte Kost aus meiner
Jugendzeit gegriffen, ein Dank meiner österreichisch-deutschen
Familienbande damals zu mir gespültes Science-Fiction-Buch der
Achtziger aus der DDR. Die Ost-SF war weniger technik- und
raumgeballerbelastet und eine Ausdrucksform der Systembewertung. Man
konnte kritisieren, ohne Namen zu nennen, und wurde trotzdem
verstanden. Meister dessen waren die russischen Gebrüder Strugazki,
deren Maxim-Kammerer-Trilogie ich ebenso verschlungen habe wie
„Picknick am Wegesrand“ oder „Der ferne Regenbogen“ oder der
Pole Stanislaw Lem mit „Die Stimme des Herrn“ oder „Solaris“,
das sich von dem Hollywood-Langweiler mit George Clooney in etwa so
unterscheidet wie der weltenbedeckende intelligente Ozean dieser
Geschichte von einer trüben Lache. Dass mit „Menschen wie Götter“
ein gewisser Sergej Snegow einen Dreiteiler abgeliefert hat, dessen
inhaltliche Dichte für das Doppelte gereicht hätte und der bei mir
weit vor Muppet-Märchen wie „Star Wars“ rangiert, sei am Rande
erwähnt. Russische Literatur ist nach meinem Empfinden grob gestanzt
und schwer verdaulich, weil, das wissen wir nicht erst seit Tolstoj
oder Dostojewski, sie im Gegensatz zur alles genüsslich in die
Breite walzenden westlichen Literatur versucht, alles in eine
geradezu unergründliche Tiefe zu hämmern. Und dabei dürfen schon
mal schwere Werkzeuge eingesetzt werden.
Jedenfalls habe ich ein ostdeutsches Jugendbuch wieder mal in die
Hände bekommen, das kaum einer kennt und dessen Autor es leider
nicht schafft, seine eigene Phantasie mit dem letzten Schliff auf
Papier zu bringen, sonst hätte das ein Reißer werden können. Es
platzt nämlich vor Ideen, manchmal wird auf einer Seite in
Nebensätzen mehr erwähnt als in manchem anderen Buch auf 450 Seiten
breitgewalzt wird. Das ist aber eine Spezialität dieses Autors, er
heißt Hans Bach und hat mit „Sternendroge Tyrsoleen“ und
„Germelshausen, 0.00 Uhr“ noch zwei andere sehr bemerkenswerte
SF-Bücher verfasst. Das vorliegende Buch heißt „Die
Glastropfenmaschine“, und da bin ich gleich auf Seite 61 über ein
paar bemerkenswerte Sätze gestolpert, die die jugendliche Hauptfigur
in Anbetracht der Bedrohung durch die ihm da noch unbekannte Macht,
deren Waffe er durch einen Zufall in seinen Besitz gebracht hat, ohne
es zu wissen, sagt:
„Ich
denke, wenn sie kommen und uns ihr böses Denken lehren, werden die
Menschen handeln wie sie. Man redet von Gefühlen, besitzt sie aber
nicht mehr. Man schachert mit Ideen, mit Ruhm. Wir werden dann alles
gegen Geld eintauschen, was wir heute nur für Freundschaft oder
Liebe geben. Was wird dann noch von uns bleiben? Nichts haben wir
dann unseren Maschinen voraus. Vielleicht werden wir dann überhaupt
nicht mehr gebraucht?“
Ich kann mich nicht erinnern, ob diese Textstelle vor vielen Jahren,
als ich das Buch zum ersten Mal las, mir auch so aufgefallen wäre,
aber heute stach sie mir besonders ins Auge.
Selten habe ich so prophetische Worte, mit einer solchen Klarheit
Zustände von heute beschreibende dreißig Jahre alte Sätze gelesen.
Der Zufall will es nämlich, dass ich vor wenigen Tagen erst einen
Disput mit einem Foristen im „Standard“ hatte, der meinen
Einwand, wie Familienverbände früher Probleme gemeistert haben
während heute alle nach dem Staat plärren, mit der typisch linken
Überheblichkeit als „gestriges Denken“ vom Tisch putzte. Ich
wagte nämlich zu erwähnen, dass Kinderbetreuung früher besser
funktioniert hat, weil die Oma auf die Enkel schaute, statt wie heute
im Pflegeheim zu sitzen während die Kinder in der Betreuungsstelle
abgeliefert werden.
„Was, wenn die Oma keine Lust hat, auf die Enkel zu sehen?“ kam
da als Antwort. Nun, meine Meinung: es geht nicht um Lust. Genau das
ist das falsche Denken. Es geht um Liebe und Freundschaft. Eine
Familie tut was sie tut, weil sie sich lieben und Verantwortung
füreinander übernehmen, auch dann, wenn sie mal keine Lust dazu
haben. Sie unterstützen sich, sie helfen sich. Heute fragt auch
keiner, ob die Oma Lust hat, in einen Pflegekomplex abgeschoben zu
werden, der sich euphemistisch „Seniorenresidenz Sonnenschein“
nennt, weil „Sterbebunker Marmorstein“ doch Leute verschrecken
könnte.
„Wir
werden dann alles gegen Geld eintauschen, was wir heute nur für
Freundschaft oder Liebe geben.“
Genau. Wir bekommen von „denen mit dem bösen Denken“ den
Egoismus eingebläut. Er wird als Keil in die Familie getrieben. Wir
lieben unsere Großeltern nicht mehr, denn sonst würden wir uns um
sie kümmern und sie nicht einfach in ein Heim stecken, wo sie gegen
Geld betreut und, wenn der Zeitpunkt da ist, entsorgt werden. Wir
lieben unsere Kinder nicht mehr, sonst würden wir versuchen, eine
Familie mit Arbeitsteilung so zu organisieren, dass Arbeit und
Betreuung unter ein Dach finden anstatt sie gegen Geld bei einer
Nachmittagsbetreuung unterzubringen. Wir würden die „lästige“
Oma auch ertragen, weil sie auf die „lästigen“ Kinder schauen
kann, wenn wir arbeiten gehen müssen oder auch nur mal eine Stunde
wieder als Liebespaar erleben möchten. Wir lassen sogar den Keil in
das Liebespaar treiben, denn es zählt keine Liebe mehr, sondern nur
das Geld. Warum bekommt die Frau, wenn sie den Haushalt macht, kein
Geld? - wird da getrötet und gehetzt. Was ja falsch ist, denn sie
bekommt es ja – vom Mann, der derweil arbeiten geht und sein Geld
auf das Familienkonto fließen lässt, von dem die Frau den gesamten
Konsum bezahlt. Ja, pauken die Hetzer dann weiter, aber es ist eben
das Geld des Mannes, um das die Frau da betteln muss – auch falsch,
Lüge, Hetze, denn es ist das Geld der Familie, das erarbeitet wird
und der Familie gehört, über das die Familie verfügt. Menschen,
die sich lieben, teilen, was sie haben. Aber die Liebe und die
Freundschaft zählen nicht mehr, denn wir haben das Denken „derer“
übernommen, die als böse destruktive Macht in der Geschichte die
Menschheit zu versklaven suchen.
Putzig am Rande ist ja, dass es die gleichen Leute sind, die die
Kollektivbildung der Familie aus Liebe und Verständnis als
Teufelswerk bekämpfen, die die Kollektivbildung sonst als
Nonplusultra beklatschen. Alle Menschen sollen Brüder werden, nur
die eigenen Brüder soll man nicht als solche behandeln. Erkenne den
Fehler.
Aber wer sind „die“? Wer sind diese offensichtlichen Feinde der
Liebe und Freundschaft, die alle unter die Herrschaft des Geldes
pressen, alles in Geldwert umrechnen und über die Geldverteilung die
Macht über den Einzelnen haben wollen?
Denken wir mal nach…
Wer hat die Altenbetreuung gefördert und gefordert und den frei
herumziehenden Arbeiter, losgelöst von den Fesseln des Eigentums und
der Familienbande, propagiert?
Wer fordert die Ganztageskinderbetreuung ab dem ersten Lebensjahr?
Wer fordert die volle Berufstätigkeit beider Elternteile, damit alle
in den Tretmühlen der Wirtschaft die Mittel erarbeiten, die sofort
vom Staat eingezogen und für die outgesourcete Alten- und
Kinderbetreuung ausgegeben wird?
Wer bezeichnet die Mann-Frau-Beziehung permanent als
Unterdrückungsinstrument, als zu zerschlagendes Instrument des
Patriarchats, das man nur in Geldwert umrechnen muss, um es
auseinanderdividieren zu können?
Wer rechnet immer alles in Geld um, die Hausarbeit, die
Kinderbetreuung, die Altenpflege, immer geht es um Geld, Geld Geld…?
Neoliberale Wirtschaftsbonzen? Das internationale Großkapital?
Oder sind das nicht die Parolen der sich als Progressive
bezeichnenden Sozialisten?
Sind es nicht genau jene, die anderen Gewinnstreben vorwerfen, die
aus reiner Unkenntnis von Dingen wie Empathie oder Liebe oder
Freundschaft handeln? Die, für die Freundschaft ein Geschäft
bedeutet, bei dem man Freunde in Versorgungsposten installiert, wo
sie auch mal Dankbarkeitsdienste erbringen können und nicht ein
Gefühl der Zuneigung, das einen selbst dazu bringt, auf etwas zu
verzichten, um diesem Freund zu helfen? Sind es nicht genau jene, die
sich mit dem Wort „Freundschaft!“ begrüßen, ihm aber keinen
Bruchteil an Inhalt geben in ihrem Intrigantenstadel, ihn jeglichen
Sinnes entkleidet haben?
Die sich selbst als progressive Weltverbesserer begreifenden und als
linksintellektuelle Elite verstehenden Wurzelresektierten haben immer
das gleiche Vorgehen: Sie nehmen ein altes, aber wertvolles Haus,
bewerfen es mit Dreck, beschmieren es mit Parolen, schlagen Löcher
in seine Wände und zeigen die Bilder dann triumphierend herum, damit
jeder sehe, wie alt und löchrig und schäbig doch das Vergangene
wäre; sie fordern dessen Abriss und schreiten auch sofort zur Tat,
hetzen alle auf, mitzuschlagen, und reißen das alte Gebäude ein.
Aus dessen Trümmern, so ihre immer und immer wiederholte
Lügenparole, würde dann das Neue, Schöne, Erhabene entstehen, das
die Zukunft prägt. Aber da ist nichts, denn sie bauen nichts, sie
weben nur aus Propagandawortgirlanden und Lügenbandwurmsätzen eine
löchrige Plane und spannen ein Zelt aus Ideologie und Trugbildern.
Eine Zeit lang, wenn es warm und trocken ist, wenn die Leute die Lüge
nicht bemerken weil sie glauben, nicht von Steinmauern eingeengt lebe
es sich doch viel besser, funktioniert dieses Lügengebäude. Aber
wenn es kalt wird, wenn der Regen kommt, dann kommt das Erwachen.
Früher war eben nicht alles schlechter, wie die Progressiven
behaupten, es war auch nicht alles besser, wie die Romantiker
behaupten, aber es war funktionierender. Und einen Schritt
zurückzugehen, wenn man merkt, dass man eine falsche Richtung
eingeschlagen hat, ist kein Rückschritt sondern eine
Fehlerkorrektur; blind auf einem falschen Pfad weiterzugehen, weil
man sich nicht zur Korrektur überwinden kann, ist Dummheit. Dass
sich solche dummen Menschen oft selbst als intellektuell empfinden,
ist da nur noch ein Treppenwitz der Geschichte.
Und dann toben diese Geiferer sofort los, ich wäre ein
„Linkenhasser“, müsse also ein „Rechtsrechter“ sein. Ist mir
ja ehrlich gesagt egal, weil was die von mir denken ist vollkommen
bedeutungslos für mich. Aber eines begreifen sie, selbst von Hass
geleitet, nie: Ich hasse sie nicht. Ich habe sie nur durchschaut. Das
reicht, um jede Achtung vor ihnen zu verlieren.
Unter ihrer Maske der Solidarität und Toleranz, des Friedens und der
Liebe sitzt nämlich nur eine hässliche Fratze aus Hochmut, Gier,
Hass und Verachtung. Dort wurde die dünne Tuchent der Zivilisation
und Menschenliebe zerrissen, das Biest darunter ist das Gleiche, das
von allen Herrenmenschenideologien gestreichelt und zum Schoßkätzchen
gemacht wird. Der willfährige Blockwart von Kommunisten, Faschisten,
Nationalisten, Islamisten, einfach allen Kollektivisten, die dem
Individuum versprechen, das Aufgehen in einem Kollektiv von
Herrenmenschen würde es selbst zu einem Herrenmenschen machen.
Wenn solche Gestalten mich beschimpfen, dann weiß ich, dass ich
irgendwas richtig gemacht haben muss. Und wenn die mich als
Faschisten beschimpfen, dann weiß ich auch, dass die selbst zu dumm
sind, um zu begreifen, wem sie gerade die Straße pflastern und
welches Gedankengut sie pflegen.
Nein, ich hasse sie nicht.
Aber ich lache sie aus, wo immer ich ihnen begegne.