„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Mittwoch, 30. August 2017

Zwischenbilanz

Die Weinlese schreitet voran und unsere Gastgeber lohnen unseren Einsatz täglich mit nahrhafter Verpflegung, von der irgendwie nichts aus einer Supermarktfiliale stammt. Es gibt ein Leben ohne Spar, Rewe und Aldi. Und man bekommt wieder das Gefühl, dass es ein besseres Leben ist. Es gibt Essen, einfaches schnödes Essen, vollkommen frei von „Lebensmitteln“, die industriell aus geschredderten Teilen kubischer Schweine mit vorgeschriebenem BMI unter Zugabe von Enzymen, Klebstoff und petrochemischen Haltbarkeitsverlängerern gefertigt werden. Nein, hier wird einfach ein komplettes Teil aus einem Schwein gefräst, das einen Speckrand besitzt, der diesen Namen verdient, ordentlich geselcht und dann fachgerecht quer zur Faser in fingerdicke Scheiben geschnitten, die man sich zur Jause selbst zerkleinert. Wer Zähne hat benötigt keine hauchdünnen Blättchen von etwas, das mit Kilopreis verkauft wird. Dazu gibt es ein täglich selbst gebackenes Brot, das einer Hefekultur entspringt, die wohl schon seit Generationen mit der Bauersfamilie unter einem Dach lebt.

Um jetzt die Kurve zu bekommen, bevor ich den nächsten biologisch abbaubaren Baum umarme und singend seine Elfen rufe, muss ich allerdings auch zugeben, dass das alles nicht „bio“ ist. Also eigentlich schon „bio“, aber nicht so, wie unsere Baumumarmer das verstehen. Denn es werden sehr wohl im Kleinlandgewerbe und bei den kleinen Weinbauern Mittel gegen Pilzbefall und Gewürm eingesetzt, die dieses dergestalt einbremsen, dass es überhaupt etwas zu lesen und zu keltern gibt. Neben der Hefe werden auch Zusätze beigemischt, deren genauere Zusammensetzung wohl nur Alchimisten kennen, die in geheimen Kellern an ihre Retorten gekettet vor dem Ausplaudern ihrer Geheimnisse geschützt werden müssen und deren Wirkversprechen mich an die geradezu zauberhaften Kräfte getrockneter Froschwarzen oder geriebener Haifischzähne in der traditionellen chinesischen Medizin erinnern. Unter dem Strich möchte man als Konsument gar nicht wissen, welcher Zusammensetzung diese geheimen Ingredienzien sind, und wenn man sich dann noch vom Weinbauern erklären lässt, wie aus einem spülenden Aufguss des Trebers unter Zugabe ähnlich geheimnisvoller Pülverchen, die eine rückstandsfreie Zersetzung vormals recht feststofflich erscheinender Fruchtreste bewirken, eine trübe Suppe entsteht, die man dann mit Hilfe interessanten Kupfergeschirrs und alchemistischer Destillationsvorgänge in hochprozentige Verdauungshilfemedizin verwandelt, die man im Interesse eines unverätzten oberen Verdauungstraktes niemals länger als eine halbe Sekunde im Rachenraum behalten darf sondern so schnell wie möglich schlucken muss, im Vertrauen darauf, dass eine bis heute von der eigenen Säure unbeeindruckte Magenwand auch diesem chemischen Angriff erfolgreich widerstehen wird, schluckt man schnell brav drei bis vier Portionen dieser Medizin und genießt das Gefühl, zwar zu wissen, dass man da eigentlich Dinge im Magen hat, mit denen man sonst sein Silber polieren kann, um nicht zu sagen, die Klomuschel zum Glänzen bringen, es aber als vollkommen egal empfindet. Sollte das nicht wirken, empfiehlt sich ein fünftes oder sechstes Glas, allerdings knallt das Zeug bei nur geringem Überschreiten der Vorsichtsgrenze sofort in die Knie, die sich plötzlich gefühlt in die falsche Richtung durchbiegen, und macht aus Munterbleiben einen Leistungssport.
Man verträgt am Ende des ersten Lebenshalbjahrhunderts nicht mehr ganz so viel wie am Ende des ersten Viertels.

Um auf die Frage eines geschätzten Lesers nach der Art des gezupften Fragolino einzugehen: Fragolino rosso. Die gute alte Isabella-Traube, die nicht nur in vergorenem Zustand einen sehr aromatischen Wein ergibt, sondern auch (dafür zweige ich mir ein paar Liter des Saftes ab) ein herzhaftes Gelee zum Verfeinern frühmorgendlicher Kaisersemmeln.
Aber nicht nur diese steht auf dem Plan (also die Isabella, nicht die Kaisersemmel), auch Traminer und Burgunder müssen den Stock verlassen und sich in die Presse begeben, wo leider nicht mehr in guter alter Tradition stramme Dorfjungfern unbeschuht den Saft aus den Beeren stampfen sondern nur ein langweiliger Elektromotor mit angeflanschtem Häckselwerk das Feste vom Flüssigen trennt. Es ist leider nichts mehr perfekt auf dieser Welt, aber dem Geschmack des Rebensaftes soll dies keinen Abbruch tun. Und ich will ja auch nicht als schnöder Maschinenstürmer erscheinen. Es gibt aber Dinge, die kann keine Maschine ersetzen. Die nackten Waden strammer Dorfjungfern zum Beispiel.

Noch drei Tage, dann ist der Berg leer aller Dinge, die sich in wohlschmeckende Flüssigkeiten diversen Alkoholgehaltes verwandeln lassen. Und mein Kofferraum voll der Dinge, die aus der Arbeit des letzten Jahres entstanden sind, abgefüllt in schlichtes Glas und versiegelt mit echtem Kork, wie es sich gehört, denn das wahrhaft Gute braucht weder schreiende Werbung noch anbiedernde Verpackung sondern nur guten Schutz gegen Verderben.

Was für ein sanfter und inhaltsleichter Text, und doch so voller Gleichnisse, die zu finden ich jedem selbst überlasse...

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Danke für die wunderschönen "Bilder" beim Lesen Ihres sanft-liebevollen Berichtes über die auch noch vorhandenen guten, wohltuenden Seiten unseres noch nicht schariagewürgten Daseins.

Vielen, vielen Dank. Ich nehme dieses Bilderbuch in den heutigen Tag mit.