Am Montag kam der kleine Harry in die Klasse und erzählte überall,
dass er gesehen hat, wie der Direktor bei der letzten
Gemeinderatsfeier sturzbesoffen aus dem Saal der „Alten Post“
getorkelt kam, mühsam gehalten vom Vizebürgermeister und der
Gemeindesekretärin, die er alle beide begrabbelte und abschmuste.
Er, Harry, finde das widerlich und den Alten doof und der solle am
Besten gehen, ehe er die ganze Schule lächerlich macht.
Das Lehrerkollegium war bestürzt über diese unglaubliche Hetze des
kleinen Harry und belehrte die Kinder sofort, dass der Harry ein
Schmuddelkind sei, ein mieser Lügner obendrein, und ein Hetzer
sowieso, denn der hochehrenwerte Herr Direktor habe eigentlich ein
schweres Rückenleiden, und er wolle sich dadurch nicht der schweren
Pflicht der Schulführung und der Gemeinderatssitzungen entschlagen,
und außerdem würde er niemals trinken und alle bisherigen Gerüchte
über seine Eskapaden nach Besuchen der „Alten Post“ wären auch
Lüge und Hetze und überhaupt müsse man dankbar sein, einen so
aufopferungsvollen hochehrwürdigen Herren Direktor zu haben.
Die Schulklassen sind nach den ersten Belehrungen durch die Lehrer
ziemlich angefressen auf den kleinen Harry, denn auch wenn sie selbst
ihm innerlich Recht geben und die peinlichen Auftritte des alten
Direktors auch doof finden, wollen sie es sich doch mit den Lehrern
nicht verscherzen. Immerhin hat sogar der alte klapprige Hausmeister,
der schon etwas schrullig wird und es schade findet, dass nicht alle
Mädchen an der Schule ein Kopftuch tragen, gemeint, dass der Harry
nicht so ungebührlich reden darf, das stünde ihm nicht zu.
Der verstockte Bengel, inzwischen von allen Seiten ausgebuht, legt
aber trotzig nach: „Ich weiß was ich gesehen habe und der Alte hat
sich peinlich aufgeführt. Der ist und bleibt doof!“
Inzwischen hat der kleine Hannes, der immer brav den Lehrern die Tür
aufhält und dem Hausmeister schonmal eine Schachtel Bio-Pralinen
mitgebracht hat, dem Herrn Direktor auch Pralinen geschickt und dazu
einen bewegenden Brief geschrieben:
„Lieber Herr Direktor!
Ich finde des urpeinlich wie der Harry doof über dich redet und will
mich dafür entschuldigen, denn der Harry ist ein Arsch und den mag
ich nicht, aber ich habe dich ganz doll gern und die anderen auch,
die finden dich ganz toll! Die Schnapspralinen hat meine Mama
besorgt, du kennst sie, sie kellnert in der „Post“ und sie sagt,
die magst du ganz besonders, auch ohne das Schoko drumrum, aber ich
weiß nicht, was sie damit meint. Wir verehren dich, oh Großer
Direktor! Ich würde alles tun, um mich zu entschuldigen für das,
was der Harry gesagt hat. Darf ich ab morgen die Pausenaufsicht
machen? Darfichdarfichdarfich??
Ganz liebe Grüße Dein Hannes“
Schon am nächsten Morgen fanden sich Kopien dieses Briefes an jedem
schwarzen Brett in der Schule. Irgendwer, wahrscheinlich der Hannes
selbst, hat es dem Harry auf die Bank gelegt. Der hat es mit der
Bemerkung: „Das kann man nicht mal mehr zum Hinternputzen
verwenden, weil es schon in dem vom Alten steckt“, weggeworfen, was
ihm den siebenunddreißigsten Tadel von Frau Angela, der Lehrerin für
Ethik und Religion, eingebracht hat. Sie hat den Brief vom Hannes als
Lehrbeispiel für Anstand und Respekt in den Unterricht aufgenommen.
Der Vollkommene Christian aus der letzten Reihe, der unabhängig vom
Thema des Tages in jeder Unterrichtsstunde einen Aufsatz über seine
eigene Vollkommenheit und eine Brandrede gegen die Dummheit der
anderen verfasst, schreibt derweil an einer vervollkommneten Version
seines Pamphletes „Warum ich der Beste von allen bin und niemandem
das Hemd so gut sitzt wie mir“. Ihm genügt es, dass sein Kumpel
Hannes einen Streberbrief verfasst hat, denn während er sich nur um
seine eigene Erhöhung kümmert, hat er seine kleine Truppe
Bewunderer, zu der auch der kleine Hannes gehört, nur zu dem Zweck,
die anderen kleiner aussehen zu lassen.
Der kleine Peter ist damit beschäftigt, die kleine Martha aus seiner
Bank zu schupfen, weil sie glaubt, wichtiger zu sein als er. Der
hyperaktive Matthias hat innerlich gekündigt und nimmt nicht mehr
kommentierend am Unterricht teil, was von den meisten mit
Erleichterung quittiert wird. Die Freunde vom Vollkommenen Christian
schreien derweil herum, wo denn der Sebastian ist, der wäre doch ein
Freund vom Harry, und Klassensprecher obendrein, der müsse doch
unbedingt was sagen. Es könne ja nicht sein, dass er dazu schweigt,
dass der Harry den Direx doof findet, nur weil es ihm eigentlich egal
sein kann und er eh was anderes zu tun hat, weil er gerade in der
Lehrerkonferenz als Schülervertreter sitzt.
Die Kinderredaktion der linken Schülerzeitung „die Standarte“
tagt, weil sie nicht weiß, ob sie die nächste Meldung bringen soll:
Man habe den Hannes gesehen, wie er in der Ecke gesessen und geweint
hat, weil der Direx nicht einmal Danke für die Pralinen gesagt hat.
Dabei hatte er so gehofft, von ihm zur Pausenaufsicht bestellt zu
werden. Der Hace, dem Harry sein kleiner Bruder, soll auch gehänselt
haben. Vielleicht bringen sie darüber etwas.
Das Gerücht, dass die Gemeindesekretärin sauer ist, weil der
Direktor sofort die gesamten Pralinen allein aufgefressen haben soll,
konnte nicht bestätigt werden. Kommt wahrscheinlich aus dem
Dunstkreis der Schmuddelkinder.
Der Direktor stand für kein Interview zur Verfügung. „Zur
Schülerzeitung? Nein, da bekomme ich nur Wasser!“ soll er gesagt
haben. Aber das zu verbreiten haben die Lehrer rechtzeitig unter
Strafe gestellt.
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