„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Montag, 29. Januar 2018

Deutungshoheit

Polen wehrt sich dagegen, dass man immer von „polnischen Todeslagern“ spricht, wenn die Vernichtungslager der Nazis auf dem heutigen Gebiet Polens gemeint sind. Dass es dazu mit Maulkorbgesetzen arbeitet und die Benutzung bestimmter Worte unter Strafe stellen will, lehne ich strikt ab, aber nicht wegen der Worte sondern weil ich generell die Arbeit mit Maulkorbgesetzen ablehne. Aber freie Meinungsäußerung zum Thema Holocaust scheint generell ein heikles Thema zu sein, nicht nur, was die Opfer, sondern auch, was die Täter angeht. Jedenfalls schäumt Israel jetzt gegen Polen, weil es sich verständlicherweise dagegen wehrt, ständig die Mitschuld an den Verbrechen der Besatzer angehängt zu bekommen. Das darf nicht sein, aus der Sicht Israels ist jeder schuld, und das ist ein Dogma an dem nicht gerüttelt werden darf. Es geht um Deutungshoheit, darum, wer bestimmen darf, wo die Schuld liegt und wer sich demütig zu beugen hat.

Das Ganze wirkt wie eine widerliche, auf den Gebeinen der Vorfahren ausgetragene „Die Welt sucht das Super-Opfer“-Challenge. Jedesmal ist auf jüdischer Seite die argumentative Keule das Schlusswort: „In meiner Familie gibt es Holocaustüberlebende / KZ-Insassen / Opfer der Nazis, also bestimme ich allein, wie man diese Geschichte zu sehen hat!“ (Hatten wir auch erst vor ein paar Tagen bei Muzicant im ORF. Dabei hätte er sich das sparen können, da es um eine holocaustverherrlichende Liedzeile ging, deren Wertung auch ohne Erbopfertum klar ist. Die Frage, ob jemand für diese Zeilen verantwortlich ist, der sie nie gelesen hat, weil sie in den Büchern geschwärzt ist, ist auch ohne Hinweis auf den eigenen Anteil an Millionen Toten recht einfach zu beantworten. Das hinterlässt den faden Beigeschmack, dass die Aufzählung des persönlichen Opferanteils schon reflexartig erfolgt.)

Gegenüber Polen, das selbst von beiden Seiten angegriffen und zwischen Hitler und Stalin aufgerieben wurde, und wo Widerständler ebenso hingerichtet oder in KZ‘s verfrachtet wurden, hat das einen ziemlich ekligen Geschmack. Dass es Polen gab, die sich schuldig gemacht haben, ist eine Tatsache, an die sich nicht das ganze polnische Volk ketten lassen muss. Dass einige der Lager erst seit der westwärts verlagerten Grenze überhaupt auf polnischem Staatsgebiet liegen und davor Deutsches Reichsgebiet waren, darf auch berücksichtigt werden.

Es gab vor einiger Zeit mal eine TV-Dokuserie über die Kollaborateure der Nazis. Eine Folge beschäftigte sich damit, dass auch Juden und Halbjuden nach der kranken Rassendefinition der Nazis mit ihnen zusammenarbeiteten und ihre eigenen Leute ans Messer lieferten. Besitzt Israel jetzt auch eine Mitschuld an den Verbrechen der Nazis? Es gab auch Kollaborateure in Frankreich, trägt ganz Frankreich jetzt eine Mitschuld an den Verbrechen der Nazis? Die Argumentation Israels wirkt mühsam an dünnem Haar herbeigezogen und entbehrlich.

Der Holocaust war ein Völkermord, eine widerliche industrielle Tötungsmaschine zum Umsetzen einer kranken Rassenideologie, die zwischen wertem und unwertem Leben unterschieden hat. Er wurde weder von Polen erfunden noch von Polen institutionalisiert, denn der Staat Polen existierte zu dieser Zeit nicht mehr, zerschreddert zwischen zwei größenwahnsinnigen Massenmördern. Sich ausgerechnet mit Polen, das sich vollkommen zurecht (wenn auch mit Maulkorbgesetzen, die ich deswegen ablehne, weil ich Maulkörbe ablehne) dagegen wehrt, eine pauschale Mitschuld angehängt zu bekommen, hier ein widerlicher Kampf um den Opferstatus geliefert wird, hinterlässt den schalen Nachgeschmack, dass es nicht um das Erbopfertum geht sondern um knallharte politische Interessen. Das auf dem Leid der eigenen Vorfahren zu tun hinterlässt einen fahlen Beigeschmack.

Und nebenbei möchte man erwähnen, dass es auch viele nichtjüdische Opfer der KZ‘s gab. Politische Gefangene, Homosexuelle, „entartete“ Künstler, geistig und körperlich Behinderte. Dass man die immer nur am Rande erwähnt, finde ich ehrlich gesagt recht widerlich. Als ob der Opfertstatus sich aus der Anzahl der Opfer ableitet. Wer mehr Tote hat, hat gewonnen. Wenn man sich diesen ekligen Hickhack anschaut, versteht man jeden, der sagt, das muss einmal ein Ende haben.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Werter Fragolin,

wir wissen doch, daß es Opfer 1. Klasse, Opfer 2. Klasse und Opfer 3. Klasse gibt: An die Opfer 1. Klasse erinnern Politik und Medien praktisch täglich, an die Opfer 2. Klasse ca. einmal jährlich (und ohne Wiedergutmachungstribute) und die Opfer 3. Klasse werden von den spätgeborenen mit T-Shirts à la "Bomber Harris do it again" verspottet.

Tomj