Polen wehrt sich dagegen, dass man immer von „polnischen
Todeslagern“ spricht, wenn die Vernichtungslager der Nazis
auf dem heutigen Gebiet Polens gemeint sind. Dass es dazu mit
Maulkorbgesetzen arbeitet und die Benutzung bestimmter Worte unter
Strafe stellen will, lehne ich strikt ab, aber nicht wegen der Worte
sondern weil ich generell die Arbeit mit Maulkorbgesetzen ablehne.
Aber freie Meinungsäußerung zum Thema Holocaust scheint generell
ein heikles Thema zu sein, nicht nur, was die Opfer, sondern auch,
was die Täter angeht. Jedenfalls schäumt Israel jetzt gegen Polen,
weil es sich verständlicherweise dagegen wehrt, ständig die
Mitschuld an den Verbrechen der Besatzer angehängt zu bekommen. Das
darf nicht sein, aus der Sicht Israels ist jeder schuld, und das ist
ein Dogma an dem nicht gerüttelt werden darf. Es geht um
Deutungshoheit, darum, wer bestimmen darf, wo die Schuld liegt und
wer sich demütig zu beugen hat.
Das Ganze wirkt wie eine widerliche, auf den Gebeinen der Vorfahren
ausgetragene „Die Welt sucht das Super-Opfer“-Challenge. Jedesmal
ist auf jüdischer Seite die argumentative Keule das Schlusswort: „In
meiner Familie gibt es Holocaustüberlebende / KZ-Insassen / Opfer
der Nazis, also bestimme ich allein, wie man diese Geschichte zu
sehen hat!“ (Hatten wir auch erst vor ein paar Tagen bei Muzicant
im ORF. Dabei hätte er sich das sparen können, da es um eine
holocaustverherrlichende Liedzeile ging, deren Wertung auch ohne
Erbopfertum klar ist. Die Frage, ob jemand für diese Zeilen
verantwortlich ist, der sie nie gelesen hat, weil sie in den Büchern
geschwärzt ist, ist auch ohne Hinweis auf den eigenen Anteil an
Millionen Toten recht einfach zu beantworten. Das hinterlässt den
faden Beigeschmack, dass die Aufzählung des persönlichen
Opferanteils schon reflexartig erfolgt.)
Gegenüber Polen, das selbst von beiden Seiten angegriffen und
zwischen Hitler und Stalin aufgerieben wurde, und wo Widerständler
ebenso hingerichtet oder in KZ‘s verfrachtet wurden, hat das einen
ziemlich ekligen Geschmack. Dass es Polen gab, die sich schuldig
gemacht haben, ist eine Tatsache, an die sich nicht das ganze
polnische Volk ketten lassen muss. Dass einige der Lager erst seit
der westwärts verlagerten Grenze überhaupt auf polnischem
Staatsgebiet liegen und davor Deutsches Reichsgebiet waren, darf auch
berücksichtigt werden.
Es gab vor einiger Zeit mal eine TV-Dokuserie über die
Kollaborateure der Nazis. Eine Folge beschäftigte sich damit, dass
auch Juden und Halbjuden nach der kranken Rassendefinition der Nazis
mit ihnen zusammenarbeiteten und ihre eigenen Leute ans Messer
lieferten. Besitzt Israel jetzt auch eine Mitschuld an den Verbrechen
der Nazis? Es gab auch Kollaborateure in Frankreich, trägt ganz
Frankreich jetzt eine Mitschuld an den Verbrechen der Nazis? Die
Argumentation Israels wirkt mühsam an dünnem Haar herbeigezogen und
entbehrlich.
Der Holocaust war ein Völkermord, eine widerliche industrielle
Tötungsmaschine zum Umsetzen einer kranken Rassenideologie, die
zwischen wertem und unwertem Leben unterschieden hat. Er wurde weder
von Polen erfunden noch von Polen institutionalisiert, denn der Staat
Polen existierte zu dieser Zeit nicht mehr, zerschreddert zwischen
zwei größenwahnsinnigen Massenmördern. Sich ausgerechnet mit
Polen, das sich vollkommen zurecht (wenn auch mit Maulkorbgesetzen,
die ich deswegen ablehne, weil ich Maulkörbe ablehne) dagegen wehrt,
eine pauschale Mitschuld angehängt zu bekommen, hier ein widerlicher
Kampf um den Opferstatus geliefert wird, hinterlässt den schalen
Nachgeschmack, dass es nicht um das Erbopfertum geht sondern um
knallharte politische Interessen. Das auf dem Leid der eigenen
Vorfahren zu tun hinterlässt einen fahlen Beigeschmack.
Und nebenbei möchte man erwähnen, dass es auch viele nichtjüdische
Opfer der KZ‘s gab. Politische Gefangene, Homosexuelle, „entartete“
Künstler, geistig und körperlich Behinderte. Dass man die immer nur
am Rande erwähnt, finde ich ehrlich gesagt recht widerlich. Als ob
der Opfertstatus sich aus der Anzahl der Opfer ableitet. Wer mehr
Tote hat, hat gewonnen. Wenn man sich diesen ekligen Hickhack
anschaut, versteht man jeden, der sagt, das muss einmal ein Ende
haben.
1 Kommentar:
Werter Fragolin,
wir wissen doch, daß es Opfer 1. Klasse, Opfer 2. Klasse und Opfer 3. Klasse gibt: An die Opfer 1. Klasse erinnern Politik und Medien praktisch täglich, an die Opfer 2. Klasse ca. einmal jährlich (und ohne Wiedergutmachungstribute) und die Opfer 3. Klasse werden von den spätgeborenen mit T-Shirts à la "Bomber Harris do it again" verspottet.
Tomj
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