„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Montag, 17. Dezember 2018

Ideologischer Kopfstand

Die Ewiggestrigen, die sich für progressiv halten, weil sie eine, wie in ihren Massengräbern dokumentiert, millionenfach gescheiterte Diktatur herbeisehnen in der wahnhaften Vorstellung, wenn sie selbst das Heft führen beim Abschlagen des Kopfes der (wahlweise ankreuzbar) kapitalistischen / neoliberalen / faschistischen Hydra, diesesmal aber wirklich die Revolution nur das Blut der „Richtigen“ (weil von ihnen dazu erwählten) kosten würde und das Ergebnis ein händchenhaltendes Eiapopeia wäre und nicht die permanente gewaltsame Ausrottung jeden Stolzes und Freiheitswillens des Individuums, das bisher jedesmal als logische Folge des Verfolgungswahns der Gewalttäter, die sich von Gleichartigen umringt fühlen, kommunistische Revolutionen in jahrzehntelange Blutbäder münden lässt, können es nicht lassen. Selbst zehn Jahre nach dem Tode eines ihrer schärfsten Ankläger verzichten sie nicht nur auf eine lobende Erwähnung zu seinem hundertsten Geburtstag, nein, sie pinkeln in ihren linksextremen Hetzpostillen auch noch ausgiebig auf sein Grab. Wohl geduldet von den Protagonisten des westlichen Parteien-Feudalismus, dessen Herrscherhäuser sich untereinander die Machtsphären ausschnapsen und die sich vornherum als Diener des Volkes gerieren, hintenrum aber als berufene Herrscher fühlen und den Staat hemmungslos ausplündern, denen dieser unbequeme Geist, der die Verlogenheit einer „repräsentativen Demokratie“, die das Volk zu Kreuzchenmalern ohne direktes Mitspracherecht degradiert und die Interessen der Zahlungskräftigen vertritt, ebenso den Spiegel vorgehalten hat.

Ich rede von Alexander Solschenizyn. Vom Westen nur so lange gefeiert, wie er sich als nobelbepreister „Dissident gegen die Sowjetmacht“ benutzen ließ, doch nach dem Ende des Kommunismus fallengelassen wurde wie eine heiße Kartoffel, weil er es wagte, eben auch den Westen zu kritisieren. Und, weiter gedacht, auch vorhersagte, dass der Westen, so er nicht mit aller Härte und ohne einen Millimeter zu weichen gegen dieses ideologische Krebsgeschwür des Kommunismus vorgehe, von diesem einst innerlich zerfressen würde. Also das, was genau jetzt passiert.
Die einzige Alternative sah Solschenizyn in der direkten Demokratie, in einem von Parteien abgekoppelten System der direkten und persönlichen Wahl eines Abgeordneten aus jedem Wahlkreis, der seinen Wählern auch direkt Rechenschaft schuldig ist und jederzeit abgesetzt werden kann, und in einem System der direktdemokratischen Abstimmung des Volkes über entscheidende Fragen. Die Schranzen und Höflinge der Parteiensysteme sehen damit ihre Pfründe in Gefahr und ergießen sich, in fröhlichem Einklang mit den oben erwähnten ewiggestrigen Kommunismus-Anhängern, in der zeitgeistigen Anschüttung Solschenizyns als Nationalisten, Kryptofaschisten, Antisemiten und geistigen Ziehvater Putins – also allem, was man einem Menschen umhängen kann, um ihn in die aktuelle Paria-Ecke zu schieben, ohne direkt das Keulenwort „Nazi“ zu benutzen.

Das Herrschaftssystem von heute hat eines mit dem eines Stalin gemeinsam: Es geht gnadenlos gegen seine Gegner vor. Mit anderen Mitteln, aber ebenso gnadenlos. Und die wirklichen Gegner der als „repräsentativen Demokratie“ getarnten Herrschaft pseudofeudalistischer Herrschaftshäuser sind eben keine Anhänger irgendwelcher Diktaturen, die ganz im Gegenteil meist die absolutistische Herrschaft eines dieser Parteienhäuser über alle anderen darstellt und somit der wahre feuchte Traum dieser Machtapparate ist, sondern diejenigen, die dem Volk klarzumachen versuchen, dass es, um sein eigener Herr zu sein, keiner Herren bedarf; weder ererbter noch gewählter. Deswegen toben die Propagandamaschinen des Systems sofort los, wenn es jemand wagt, die direkte Demokratie der Farce des Kreuzchenmalens zur Verleihung absoluter Machtansprüche vorzuziehen, und erklärt jeden, der das Individuum des Staatsbürgers für allein entscheidungsberechtigt betrachtet und für es das direkte Stimmrecht und das Recht auf Absetzung von Amtsträgern einfordert, und denunzieren diesen als das, was gerade als Paria-Merkmal dem Zeitgeist entspricht. Und so werden heute kurioserweise Vertreter einer absoluten Freiheit des Individuums als Demokratiefeinde, Rechtsextreme und Nazis verunglimpft. Von Menschen, die Demokratie missbrauchen, die Freiheit des Individuums einschränken und faschistische Methoden gegen Andersdenkende anwenden.

Dass sich der selbstgefühlte Herrschaftsanspruch der Parteibonzen auf der Ebene der repräsentativen Demokratie nicht beherrschen lässt beweist übrigens der jüngst stattgefundene Verzicht der FPÖ, dieses ihr großes Wahlkampfthema auf Sankt Nimmerlein zu verschieben und selbst dann auf ein einziges Abstimmunsgverfahren mit künstlich hochgesetzten Hürden zu verdünnen. Nicht nur, dass die hinter dem Dampfplauderer Kurz wirklich herrschenden alten schwarzen Bonzen es nie zulassen werden, in ihrer Macht auch nur einen Millimeter eingeschränkt zu werden, wird auch die FPÖ den Knicks nur allzu gerne vollziehen, denn die Parteihäuser werden niemals an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Aber das nur am Rande.

Die russische Seele, so sagt man, ist schwermütig und getragen von der Sehnsucht nach einer besseren Welt, die zu erreichen aber nicht angestrebt wird, weil ja sonst die Schwermut verloren ginge. Übrigens der österreichischen Seele des Raunzens nicht ganz unähnlich, die den Zustand der Zufriedenheit selbst schon wieder als Grund, darüber zu raunzen, betrachtet. Nur besitzen die Österreicher nicht den Langmut und die Geduld der Russen, die gedanklich eher den Jahrhundertweg gehen, während Österreicher oft nur bis zum nächsten Tag denken.
Und so kommt es, dass russische Literatur gefühlt aus mindestens 1000 Seiten bestehen muss, dafür aber nur maximal 500 Sätze braucht. Und sie lässt sich nur schwer in einen 120-minütigen Hollywoodschinken mit seichter Action und verschämt verschleierter Sexszene packen. Eher in eine langatmige und bildgewaltige siebenteilige Produktion russischer Filmstudios.
Das macht die Werke russischer Klassiker in Zeiten von „Fack ju Göthe“ nicht unbedingt massentauglich.

Trotzdem sollte zumindest Solschenizyns „Archipel GULag“ nicht nur zur Pflichtlektüre an jeder Schule gehören, sondern die wenigen überlieferten Bilder des Schreckens dieses kommunistischen Regimes in Endlosschleife neben den Bildern des Schreckens des Nazi-Regimes in den Doku-Kanälen gezeigt werden, um die inhärente Seelenverwandtschaft aller kollektivistischer Diktaturen gnadenlos zu offenbaren und den Menschen zu zeigen, was wirklich dabei herauskommt, wenn ihr feuchter Traum vom kollektivistischen Eiapopeia in Erfüllung geht: Brutalität, Mord und Ströme von Blut. Denn es ist nicht das Lagerfeuer der sozialen Wärme, um das sich die Horde zusammenkuschelt, sondern es ist der Scheiterhaufen, um den sie grölend tanzt.

Wer es zurecht und vollkommen nachvollziehbar ablehnt, dass die Ideologie hitlerverehrender Hinterhofglatzen zum einenden Element eines Großkollektivs wird, das die intrigantesten und brutalsten seiner Vertreter nach oben an die Schalthebel der Macht spült, der sollte einmal darüber nachdenken, was passiert, wenn die Ideologie maoverehrender vermummter Prügelhorden diese Rolle übernimmt. Wer gegen den linken Rand ist, ist nicht automatisch für den rechten Rand.
Aber genau das ist der Kern heutiger Propaganda.
Der Kommunismus wird, wenn man ihn nicht gnadenlos ausrottet, die westliche Gesellschaft von innen zerfressen. Solschenizyn hat es vorhergesehen. Deshalb wird er bei uns nicht mehr verehrt sondern es wird ihm von literarisch weit unter ihm gründelnden Provinzjournalisten ins Grab nachgespuckt. Denn wer die Wahrheit gesagt hat und auf kein schnelles Pferd mehr springen kann, dem wird eben posthum noch nachgetreten.

P.S. Ich bin aus der „Standard“-Postercommunity ausgetreten. Eine Weile kann man die Faszination des Ekels genießen, mit dem einen diese verlogene Hetze erfüllt, aber irgendwann versiegt die Faszination und es bleibt nur mehr Ekel. Spätestens dann, wenn zweitklassige linksextreme Schmierfinken versuchen, einen großen Schriftsteller, der im Gegensatz zu ihnen nicht aus einer geschützten Werkstätte heraus sondern mit Lagerhaft hinter sich und der Gewissheit erneuter Lagerhaft vor sich die Wahrheit dokumentiert hat, die ihnen unangenehm ist weil sie ihr Weltbild nicht nur infrage stellt sondern als verbrecherisch entlarvt, mit dem üblichen kollektivistischen Hass gegen den Individualisten zu überschütten.

Wenn jene, die sich aus dem bequemen staatsgeförderten Redaktionssessel ein Gesellschaftssystem herbeiwünschen, das unweigerlich zum Gulag führt, auf jene herabschauen wollen, die dieses Gesellschaftssystem und den Gulag live er- und überlebt haben, dann müssen sie ideologisch kopfstehen. Der Blutstau im Hirn muss gewaltig sein.

Man kann alle wirtschaftlichen, staatlichen, physischen Katastrophen überleben, nicht aber geistige. Wenn wir uns aufgeben, wenn wir aufhören an uns, an unsere Zukunft zu glauben, dann sind wir erledigt.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 11. Dezember 1918 bis 3. August 2008

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Werter Fragolin,

ein grandioser Text Ihrerseits, ich habe eine Träne im Auge.

Leider werden es diejenigen, die es am Nötigsten hätten, weder lesen noch (so sie es doch tun) verstehen.

Stets der Ihre,
Tomj