Die Ewiggestrigen, die sich für progressiv halten, weil sie eine,
wie in ihren Massengräbern dokumentiert, millionenfach gescheiterte
Diktatur herbeisehnen in der wahnhaften Vorstellung, wenn sie selbst
das Heft führen beim Abschlagen des Kopfes der (wahlweise
ankreuzbar) kapitalistischen / neoliberalen / faschistischen Hydra,
diesesmal aber wirklich die Revolution nur das Blut der „Richtigen“
(weil von ihnen dazu erwählten) kosten würde und das Ergebnis ein
händchenhaltendes Eiapopeia wäre und nicht die permanente
gewaltsame Ausrottung jeden Stolzes und Freiheitswillens des
Individuums, das bisher jedesmal als logische Folge des
Verfolgungswahns der Gewalttäter, die sich von Gleichartigen umringt
fühlen, kommunistische Revolutionen in jahrzehntelange Blutbäder
münden lässt, können es nicht lassen. Selbst zehn Jahre nach dem
Tode eines ihrer schärfsten Ankläger verzichten sie nicht nur auf
eine lobende Erwähnung zu seinem hundertsten Geburtstag, nein, sie
pinkeln in ihren linksextremen Hetzpostillen auch noch ausgiebig auf
sein Grab. Wohl geduldet von den Protagonisten des westlichen
Parteien-Feudalismus, dessen Herrscherhäuser sich untereinander die
Machtsphären ausschnapsen und die sich vornherum als Diener des
Volkes gerieren, hintenrum aber als berufene Herrscher fühlen und
den Staat hemmungslos ausplündern, denen dieser unbequeme Geist, der
die Verlogenheit einer „repräsentativen Demokratie“, die das
Volk zu Kreuzchenmalern ohne direktes Mitspracherecht degradiert und
die Interessen der Zahlungskräftigen vertritt, ebenso den Spiegel
vorgehalten hat.
Ich rede von Alexander Solschenizyn. Vom Westen nur so lange
gefeiert, wie er sich als nobelbepreister „Dissident gegen die
Sowjetmacht“ benutzen ließ, doch nach dem Ende des Kommunismus
fallengelassen wurde wie eine heiße Kartoffel, weil er es wagte,
eben auch den Westen zu kritisieren. Und, weiter gedacht, auch
vorhersagte, dass der Westen, so er nicht mit aller Härte und ohne
einen Millimeter zu weichen gegen dieses ideologische Krebsgeschwür
des Kommunismus vorgehe, von diesem einst innerlich zerfressen würde.
Also das, was genau jetzt passiert.
Die einzige Alternative sah Solschenizyn in der direkten Demokratie,
in einem von Parteien abgekoppelten System der direkten und
persönlichen Wahl eines Abgeordneten aus jedem Wahlkreis, der seinen
Wählern auch direkt Rechenschaft schuldig ist und jederzeit
abgesetzt werden kann, und in einem System der direktdemokratischen
Abstimmung des Volkes über entscheidende Fragen. Die Schranzen und
Höflinge der Parteiensysteme sehen damit ihre Pfründe in Gefahr und
ergießen sich, in fröhlichem Einklang mit den oben erwähnten
ewiggestrigen Kommunismus-Anhängern, in der zeitgeistigen
Anschüttung Solschenizyns als Nationalisten, Kryptofaschisten,
Antisemiten und geistigen Ziehvater Putins – also allem, was man
einem Menschen umhängen kann, um ihn in die aktuelle Paria-Ecke zu
schieben, ohne direkt das Keulenwort „Nazi“ zu benutzen.
Das Herrschaftssystem von heute hat eines mit dem eines Stalin
gemeinsam: Es geht gnadenlos gegen seine Gegner vor. Mit anderen
Mitteln, aber ebenso gnadenlos. Und die wirklichen Gegner der als
„repräsentativen Demokratie“ getarnten Herrschaft
pseudofeudalistischer Herrschaftshäuser sind eben keine Anhänger
irgendwelcher Diktaturen, die ganz im Gegenteil meist die
absolutistische Herrschaft eines dieser Parteienhäuser über alle
anderen darstellt und somit der wahre feuchte Traum dieser
Machtapparate ist, sondern diejenigen, die dem Volk klarzumachen
versuchen, dass es, um sein eigener Herr zu sein, keiner Herren
bedarf; weder ererbter noch gewählter. Deswegen toben die
Propagandamaschinen des Systems sofort los, wenn es jemand wagt, die
direkte Demokratie der Farce des Kreuzchenmalens zur Verleihung
absoluter Machtansprüche vorzuziehen, und erklärt jeden, der das
Individuum des Staatsbürgers für allein entscheidungsberechtigt
betrachtet und für es das direkte Stimmrecht und das Recht auf
Absetzung von Amtsträgern einfordert, und denunzieren diesen als
das, was gerade als Paria-Merkmal dem Zeitgeist entspricht. Und so
werden heute kurioserweise Vertreter einer absoluten Freiheit des
Individuums als Demokratiefeinde, Rechtsextreme und Nazis
verunglimpft. Von Menschen, die Demokratie missbrauchen, die Freiheit
des Individuums einschränken und faschistische Methoden gegen
Andersdenkende anwenden.
Dass sich der selbstgefühlte Herrschaftsanspruch der Parteibonzen
auf der Ebene der repräsentativen Demokratie nicht beherrschen lässt
beweist übrigens der jüngst stattgefundene Verzicht der FPÖ,
dieses ihr großes Wahlkampfthema auf Sankt Nimmerlein zu verschieben
und selbst dann auf ein einziges Abstimmunsgverfahren mit künstlich
hochgesetzten Hürden zu verdünnen. Nicht nur, dass die hinter dem
Dampfplauderer Kurz wirklich herrschenden alten schwarzen Bonzen es
nie zulassen werden, in ihrer Macht auch nur einen Millimeter
eingeschränkt zu werden, wird auch die FPÖ den Knicks nur allzu
gerne vollziehen, denn die Parteihäuser werden niemals an dem Ast
sägen, auf dem sie sitzen. Aber das nur am Rande.
Die russische Seele, so sagt man, ist schwermütig und getragen von
der Sehnsucht nach einer besseren Welt, die zu erreichen aber nicht
angestrebt wird, weil ja sonst die Schwermut verloren ginge. Übrigens
der österreichischen Seele des Raunzens nicht ganz unähnlich, die
den Zustand der Zufriedenheit selbst schon wieder als Grund, darüber
zu raunzen, betrachtet. Nur besitzen die Österreicher nicht den
Langmut und die Geduld der Russen, die gedanklich eher den
Jahrhundertweg gehen, während Österreicher oft nur bis zum nächsten
Tag denken.
Und so kommt es, dass russische Literatur gefühlt aus mindestens
1000 Seiten bestehen muss, dafür aber nur maximal 500 Sätze
braucht. Und sie lässt sich nur schwer in einen 120-minütigen
Hollywoodschinken mit seichter Action und verschämt verschleierter
Sexszene packen. Eher in eine langatmige und bildgewaltige
siebenteilige Produktion russischer Filmstudios.
Das macht die Werke russischer Klassiker in Zeiten von „Fack ju
Göthe“ nicht unbedingt massentauglich.
Trotzdem sollte zumindest Solschenizyns „Archipel GULag“ nicht
nur zur Pflichtlektüre an jeder Schule gehören, sondern die wenigen
überlieferten Bilder des Schreckens dieses kommunistischen Regimes
in Endlosschleife neben den Bildern des Schreckens des Nazi-Regimes
in den Doku-Kanälen gezeigt werden, um die inhärente
Seelenverwandtschaft aller kollektivistischer Diktaturen gnadenlos zu
offenbaren und den Menschen zu zeigen, was wirklich dabei
herauskommt, wenn ihr feuchter Traum vom kollektivistischen Eiapopeia
in Erfüllung geht: Brutalität, Mord und Ströme von Blut. Denn es
ist nicht das Lagerfeuer der sozialen Wärme, um das sich die Horde
zusammenkuschelt, sondern es ist der Scheiterhaufen, um den sie
grölend tanzt.
Wer es zurecht und vollkommen nachvollziehbar ablehnt, dass die
Ideologie hitlerverehrender Hinterhofglatzen zum einenden Element
eines Großkollektivs wird, das die intrigantesten und brutalsten
seiner Vertreter nach oben an die Schalthebel der Macht spült, der
sollte einmal darüber nachdenken, was passiert, wenn die Ideologie
maoverehrender vermummter Prügelhorden diese Rolle übernimmt. Wer
gegen den linken Rand ist, ist nicht automatisch für den rechten
Rand.
Aber genau das ist der Kern heutiger Propaganda.
Der Kommunismus wird, wenn man ihn nicht gnadenlos ausrottet, die
westliche Gesellschaft von innen zerfressen. Solschenizyn hat es
vorhergesehen. Deshalb wird er bei uns nicht mehr verehrt sondern es
wird ihm von literarisch weit unter ihm gründelnden
Provinzjournalisten ins Grab nachgespuckt. Denn wer die Wahrheit
gesagt hat und auf kein schnelles Pferd mehr springen kann, dem wird
eben posthum noch nachgetreten.
P.S. Ich bin aus der „Standard“-Postercommunity ausgetreten. Eine
Weile kann man die Faszination des Ekels genießen, mit dem einen
diese verlogene Hetze erfüllt, aber irgendwann versiegt die
Faszination und es bleibt nur mehr Ekel. Spätestens dann, wenn
zweitklassige
linksextreme Schmierfinken versuchen, einen großen
Schriftsteller, der im Gegensatz zu ihnen nicht aus einer geschützten
Werkstätte heraus sondern mit Lagerhaft hinter sich und der
Gewissheit erneuter Lagerhaft vor sich die Wahrheit dokumentiert hat,
die ihnen unangenehm ist weil sie ihr Weltbild nicht nur infrage
stellt sondern als verbrecherisch entlarvt, mit dem üblichen
kollektivistischen Hass gegen den Individualisten zu überschütten.
Wenn jene, die sich aus dem bequemen staatsgeförderten
Redaktionssessel ein Gesellschaftssystem herbeiwünschen, das
unweigerlich zum Gulag führt, auf jene herabschauen wollen, die
dieses Gesellschaftssystem und den Gulag live er- und überlebt
haben, dann müssen sie ideologisch kopfstehen. Der Blutstau im Hirn
muss gewaltig sein.
„Man kann alle wirtschaftlichen, staatlichen, physischen
Katastrophen überleben, nicht aber geistige. Wenn wir uns aufgeben,
wenn wir aufhören an uns, an unsere Zukunft zu glauben, dann sind
wir erledigt.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 11. Dezember 1918 bis 3. August
2008
1 Kommentar:
Werter Fragolin,
ein grandioser Text Ihrerseits, ich habe eine Träne im Auge.
Leider werden es diejenigen, die es am Nötigsten hätten, weder lesen noch (so sie es doch tun) verstehen.
Stets der Ihre,
Tomj
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