„Ich bin ein überzeugter und konsequenter Kritiker des Parteien-Parlamentarismus und Anhänger eines Systems, bei dem wahre Volksvertreter unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit gewählt werden.“
Alexander Issajewitsch Solschenizyn, 2007

Freitag, 8. Dezember 2017

Tür 7

Das siebte Türchen des Adventkalenders verbarg gestern eine echte Überraschung.

So, wie man es ja erwarten konnte von den neoliberal-ausbeuterischen Rechten, die ja ausgezogen sind, um das Proletariat weiter zu knechten und auszupressen, müssen seit gestern die Geschundenen in Österreich gesetzlich bestimmt rund um die Uhr durcharbeiten. Glauben sie zumindest. Und so saßen gestern wieder die Ärmsten der Armen, die rund um die Uhr für eine Schüssel warmes Essen schuften müssen, den ganzen Tag im weichen Sessel vor ihrem PC (genug davon wohl während ihrer Arbeitszeit) und tobten über das zwischen ÖVP und FPÖ ausgearbeitete Arbeitszeitmodell, das unter gewissen Umständen und nach einer Betriebsvereinbarung einen Arbeitstag ausnahmsweise bis zu 12 Stunden dauern lassen darf. Es wurde zwar auch festgeschrieben, dass von der Normalarbeitszeit 8 Stunden am Tag und 40 Stunden in der Woche nicht abgerückt werden darf und somit automatisch einem umfangreichen Einsatz mit bis zu 12 Stunden am Tag und 60 Stunden in der Woche automatisch eine Pause folgen muss, um das Zeitpolster wieder abzubauen, und auch die Überstundenzuschläge nicht angetastet werden, aber das muss man ja nicht lesen, es reicht ja, wenn man sich auf die 12 Stunden konzentriert.

Und so tobten besonders die Klassenkämpfer in der „Standard“-Filterblase auch gestern wieder ganztägig in hunderten Postimgs über ihre eigene Enttäuschung, dass die Roten nicht mehr die Deutungshoheit haben und die Wähler dem dumpfen Gedöns dieses Haufens nicht mehr glauben, seitdem ihre Silberstein-Praktiken, Untergriffe und Lügen aufgeflogen sind. Die wichtigsten Aussagen: Da sieht man es, der Bumsti und der Basti, die richten Österreich zugrunde, knechten die Proleten und zerstören alle Errungenschaften der Gewerkschaft, sie wollen die Gewerkschaften auflösen, Betriebsräte und Arbeiterkammer verbieten, Kollektivverträge abschaffen und die Herrschaft der Konzerne errichten.

Ich finde es putzig, mit welcher Dynamik sich in dieser Filterblase der Klassenkampf aufschaukelt. Fakten dringen da nicht mehr durch. Ich hätte da nämlich mal zwei Beispiele, wo noch etwas zum Thema 12-Stunden-Tag zu finden ist, das von den Medien doch glatt mal wieder lückenhaft vergessen wurde, zu erwähnen.

Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, dürfen Überstunden bis zu einer Arbeitszeit von zwölf Stunden pro Tag und 60 Stunden pro Woche geleistet werden. Dies ist in 24 Wochen pro Jahr zulässig. Nach höchstens acht Wochen muss eine Unterbrechung von mindestens zwei Wochen erfolgen.
Die durchschnittliche wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden ist einzuhalten.“

Nein, nicht auf dem Wunschzettel irgendwelcher an die Wand gemalter Ausbeuterkapitalisten gefunden sondern hier. Eine Tagesarbeitszeit bis maximal 12 Stunden und eine Wochenarbeitszeit bis maximal 60 Stunden sind bei Vorliegen eines „besonderen Arbeitsbedarfs“ erlaubt. Hat man da schon mal Schwarz auf Weiß und ganz offiziell stehen.
Damit ist jene Hälfte der Tobenden, die sich künstlich darüber aufregen, dass Schwarzblau grausamerweise Alleinerzieherinnen an den Herd drängen wollen, weil sie solch Förchterbares fordern, sich über etwas aufregen, was es schon lange gibt, bereits als Dummkopf entlarvt. Toben, Schreien, Greinen gegen etwas, was es schon lange gibt und wogegen sie fein still hielten, als ihre eigenen Lieblingsfunktionäre diese Regeln mitgetragen haben.

Merkt das jeder? Der „Standard“ als Vertreter einer selbstgefühlten „Qualitätspresse“ heizt seine Klassenkampfcommunity (wie eh schon täglich) mit Parolen auf, und vergisst ganz zufällig zu erwähnen, dass diese Regelung sowieso schon besteht und nur der Rahmen des „besonderen Arbeitsbedarfs“ neu definiert wurde. Und die Forumsfilterblase schaukelt sich hoch, klatscht sich in Ekstase und Wut und merkt nicht einmal, was für einen Schmarrn sie da absondern.
So geht Poststrukturalismus live.

Aber es geht noch besser. Viel besser. Es gibt nämlich eine Vorlage, die exakt das Gleiche schon gefordert hat:

8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Freizeit und Familie und 8 Stunden Schlaf dürfen im Grundsatz nicht in Frage gestellt werden. (…) Bei Gleitzeit sollen 12 Stunden tägliche Arbeitszeit möglich werden...“

Ja, und wo findet sich solch neoliberal-ausbeuterisches Gedankengut? Im Geheimpapier zur Knechtung der Arbeiterklasse der teuflischen FPÖ? Oder im von Kurz gehüteten Maßnahmenplan der Vereinigten Großkonzerne zur Unterjochung der Lohnsklaven?
Nein.
Es steht im „Plan A“ des Herrn Kern. Auf Seite 34.
Hätte es Rotschwarz oder Rotblau gegeben, wäre also nichts anderes rausgekommen.
Na sowas.
Wo die Faschisten schon überall sitzen.
Ich hab‘s ja versprochen: Hinter Türchen 7 war eine echte Überraschung.

Ach nein, einen hab ich noch. Es sind nämlich auch in Deutschland Faschisten aufgetaucht. Wer sich schon immer gefragt hat, was die Nazis in ihrem krankhaften Versuch, ihre Ideologie wissenschaftlich untermauern zu müssen, um als progressive Kraft anerkannt zu werden (Woher kommt uns das noch bekannt vor?), angestellt hätten, würde ihnen die heutige Wissenschaft und Technik zur Verfügung stehen, dem wurde hinter Türchen 7 auch eine Antwort zuteil: Sie hätten in memorian Dr. Mengele sicher ohne Einwilligung und selbst gegen den erklärten Willen einer Person einen DNA-Test durchgeführt, um seine rassische Abstammung zu beweisen und am Ergebnis festgemacht, ob dieser Jemand noch einmal den Mund aufmachen darf im Deutschen Reich. Heute verkleiden sich solche praktizierenden Faschisten hinter dem Titel „Künstler“ und versuchen krampfhaft, durch permanent geäußerten Antifaschismus davon abzulenken, dass sie mit genau den Methoden der Nazis arbeiten. Die Anfänge, denen zu wehren sie behaupten, leben sie selbst.
Wem die Stasi zu lasch und die Gestapo zu uncool war, der findet seine Heimat offensichtlich im „Zentrum für politische Schönheit“.

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